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VII

Die Arbeit in der Gesellschaft.

In meinen Vorträgen für die Anthroposophische Gesellschaft, die ich gegenwärtig am Goetheanum halte, suche ich die Grundfragen des menschlichen Seelenlebens zur Darstellung zu bringen. In den fünf »Leitsätzen«, die bisher in diesem Mitteilungsblatte enthalten waren, ist der Gesichtspunkt gekennzeichnet, von dem aus die Darstellung gegeben wird. Ich wollte der Grundforderung eines anthroposophischen Vortrages entsprechen. Der Zuhörer soll die Empfindung haben, dass Anthroposophie von dem spricht, was er bei voller Selbstbesinnung als ureigene Angelegenheit seiner Seele empfindet. Kann man für eine solche Darstellung die rechte Art finden, dann wird sich unter den Mitgliedern das Bewusstsein entwickeln: In der Anthroposophischen Gesellschaft wird der Mensch wirklich verstanden.

Man trifft damit auf dasjenige, was für die Menschen, die Mitglieder werden, der treibende Impuls ist. Sie wollen eine Stätte finden, an der Menschenverständnis seine rechte Pflege findet.

Man ist eigentlich schon auf dem Wege zur Anerkennung des Geisteswesens der Welt, wenn man ernstlich Menschenverständnis sucht. Denn man wird in diesem Suchen gewahr, dass die Naturerkenntnis in bezug auf den Menschen keine Aufschlüsse gibt, sondern nur Fragen erzeugt.

In den anthroposophischen Darstellungen kommt nur Verwirrung zustande, wenn man die Seele von der Liebe zur Natur hinwegführen will. Nicht in der Geringschätzung dessen, was die Natur den Menschen offenbart, kann der Ausgangspunkt der anthroposophischen Betrachtung liegen. Naturverachtung, Abkehr von der Wahrheit, die in den Erscheinungen des Lebens und der Welt dem Menschen entgegenstrahlt, von der Schönheit, die in diesen Erscheinungen waltet, von den Aufgaben, die sie dem Menschenstreben stellen, kann nur zu einem Zerrbilde vom Geisteswesen führen.

Ein solches Zerrbild wird immer einen persönlichen Charakter haben. Es wird, auch wenn es nicht bloss aus Träumen gewoben ist, doch wie das Träumen erlebt werden. Wenn der Mensch im wachen Dasein mit Menschen lebt, dann muss sein Streben auf Verständigung über Gemeinsames ausgehen. Was der eine behauptet, muss Bedeutung für den andern haben; was der eine erarbeitet, muss für den andern einen gewissen Wert haben. Die Menschen, die miteinander leben, müssen das Gefühl haben, dass sie in einer gemeinsamen Welt sind. Wenn der Mensch in seinen Träumen webt, dann löst er sich aus dieser gemeinsamen Welt heraus. Ein anderer Mensch in seiner unmittelbaren Nähe kann ganz andere Träume haben. Im Wachen haben die Menschen eine gemeinsame Welt; im Träumen hat ein jeder seine eigene.

Anthroposophie sollte nicht aus dem Wachen in das Träumen, sondern in ein stärkeres Erwachen hineinführen. Im alltäglichen Leben ist zwar Gemeinsamkeit vorhanden; aber diese wird doch in engen Grenzen erlebt. Man ist da in ein Stück Dasein hineingebannt; man trägt die Sehnsucht nach dem vollen Leben nur im Herzen. Man fühlt, die Gemeinsamkeit des menschlichen Erlebens geht weiter als der Umkreis des alltäglichen Lebens. Und wie man von der Erde weg zur Sonneblicken muss, wenn man die allem Irdischen gemeinsame Quelle des Lichtes gewahr werden will, so muss man von der Sinnenwelt hinweg zum Geistes-Inhalt sich wenden, wenn man finden will, was aus dem echt Menschlichen heraus die Seele zur befriedigenden Menschengemeinschaft, zum vollen Erleben dieser Gemeinschaft führen kann.

Da ist es denn leicht möglich, dass man sich vom Leben abwendet, statt in einem intensiveren Masse in dasselbe einzutreten.

Und dieser Gefahr unterliegt der Naturverächter. Er wird in die Einsamkeit der Seele hineingetrieben, für die das natürliche Träumen ein Vorbild ist. Für menschliche Wahrheit, die zugleich Weltwahrheit ist, entwickelt man am besten den Sinn, wenn man diesen heranerzieht an derjenigen Wahrheit, die aus der Natur der Menschenseele entgegenleuchtet. Wer aber Naturwahrheit mit offenem, freiem Sinn in sich erlebt, der wird durch sie zur Geisteswahrheit hingeführt. Wer sich von der Schönheit, Grösse und Erhabenheit der Natur durchdringt, in dem werden diese zur Quelle der Geistempfindung. Und wer sein Herz der stummen Naturgebärde öffnet, die jenseits von Gut und Böse in ewiger Unschuld sich offenbart, dem erschliesst sich der Blick für die geistige Welt, die in die stumme Gebärde das lebendige Wort tönen lässt, das den Unterschied von Gut und Böse offenbart.

Geistanschauung, die durch die Liebe zur Naturanschauung hindurchgegangen ist, bereichert das Leben um die wahren Schätze der Seele; Geistesträumen, das im Widerspruch mit der Naturanschauung sich entwickelt, verarmt das Menschenherz.

Wer Anthroposophie im tiefsten Wesen durchdringt, wird, was in diesen Sätzen angedeutet ist, als den Gesichtspunktempfinden, von dem in den anthroposophischen Darstellungen ausgegangen werden muss. Man wird durch solche Ausgangspunkte dasjenige berühren, von dem ein jedes Mitglied der Anthroposophischen Gesellschaft sich sagt: darin liegt, was den wahren Grund meines Eintrittes in die Gesellschaft gebildet hat.

Bei den Mitgliedern, die in der Gesellschaft tätig sein wollen, wird es nicht genügen, dass sie von dem hier Angedeuteten theoretisch überzeugt sind. Es wird das rechte Leben in ihre Ueberzeugung erst kommen, wenn sie ein warmes Interesse für alles entfalten, was in der Gesellschaft vorgeht. Durch das Erfahren dessen, was von den Persönlichkeiten, die in der Gesellschaft sind, erdacht und erlebt wird, werden sie die Wärme empfangen, die sie für ihre Arbeit in der Gesellschaft brauchen. Man muss viel Interesse für die andern Menschen haben, wenn man ihnen auf anthroposophische Art gegenübertreten will. Das Studium dessen, was »in derGesellschaft vorgeht«, muss die Unterlage für das Wirken in der Gesellschaft werden. Gerade diejenigen Mitglieder brauchen dieses Studium, die in der Gesellschaft tätig sein wollen. Weitere Leitsätze vom Goetheanum ausgegeben

6.Wenn man den Blick auf die leblose Natur wendet, so findet man eine Welt, die sich in gesetzmässigen Zusammenhängen offenbart. Man sucht nach diesen Zusammenhängen und findet sie als den Inhalt der Naturgesetze. Man findet aber auch, dass durch diese Gesetze die leblose Natur sich mit der Erde zu einem Ganzen zusammenschliesst. Man kann dann von diesem Erdenzusammenhang, der in allem Leblosen waltet, zu der Anschauung der lebendigen Pflanzenwelt übergehen. Man sieht, wie die ausserirdische Welt aus den Weiten des Raumes die Kräfte hereinsendet, welche das Lebendige aus dem Schosse des Lebenslosen hervorholen. Man wird in dem Lebendigen das Wesenhafte gewahr, das sich dem bloss irdischen Zusammenhange entreisst, und sich zum Offenbarer dessen macht, was aus den Weiten des Weltenraumes auf die Erde herunterwirkt. In der unscheinbarsten Pflanze wird man die Wesenheit des ausserirdischen Lichtes gewahr, wie im Auge den leuchtenden Gegenstand, der vor diesem steht. In diesem Aufstieg der Betrachtung kann man den Unterschied des Irdisch-Physischen schauen,das im Leblosen waltet, und des Ausserirdisch-Aetherischen,das im Lebendigen kraftet.

7. Man findet den Menschen mit seinem ausserseelischen und aussergeistigen Wesen in diese Welt des Irdischen und Ausserirdischen hineingestellt. Sofern er in das Irdische, das das Leblose umspannt, hineingestellt ist, trägt er seinen physischen Körper an sich; sofern er in sich diejenigen Kräfte entwickelt, welche das Lebendige aus den Weltenweiten in das Irdische hereinzieht, hat er einen ätherischen oder Lebensleib. Diesen Gegensatz zwischen dem Irdischen und Aetherischen hat die Erkenntnisrichtung der neueren Zeit ganz unberücksichtigt gelassen. Sie hat gerade aus diesem Grunde über das Aetherische die unmöglichsten Anschauungen entwickelt. Die Furcht davor, sich in das Phantastische zu verlieren, hat davon abgehalten, von diesem Gegensatz zu sprechen. Ohne ein solches Sprechen kommt man aber zu keiner Einsicht in Mensch und Welt.

VIII

Die Arbeit in der Gesellschaft (Fortsetzung).

Man wird sich erinnern, dass ich in meinen öffentlichen Vorträgen, die ich im Dienste der Anthroposophischen Gesellschaft gehalten habe, nach Möglichkeit versuchte, überall einzufügen, was an entsprechenden Erkenntnissen im gegenwärtigen Zeitalter vorhanden ist. Ich tat dieses, weil Anthroposophie nicht dastehen darf wie eine willkürlich ersonnene Sektenmeinung. Sie muss zum Ausdrucke bringen, was sie in Wahrheit ist: die von unserer Zeit selbst geforderte Weltanschauung und Lebenspraxis.

Es erscheint mir ganz verfehlt, wenn der Anthroposoph nur abweist, was ausser seinem Gebiete von dem geistigen Leben der Gegenwart hervorgebracht wird. Tut er dies sogar in einer solchen Weise, dass der Kundige sogleich bemerkt, er weist ab, was er gar nicht genügend kennt, so wird Anthroposophie niemals etwas ausrichten können.

Die in den Zweigen tätigen Mitglieder werden dies beachten müssen. Man wird aber nicht erreichen, was erstrebenswert ist, wenn man neben den anthroposophischen Darlegungen auchsolche veranstaltet, die aus den verschiedensten Wissensgebieten der Gegenwart die Dinge so bringen, wie dies ausserhalb der anthroposophischen Bewegung geschieht. Dadurch wird nur eine für die zuhörenden Mitglieder peinigende Kluft geschaffen zwischen dem heute üblichen Erkennen und demjenigen, von dem Anthroposophie sprechen muss.

Es ist vom Uebel, wenn ein Thema aufgeworfen wird und von vorneherein der Eindruck entsteht, es werde nur die Gelegenheit ergriffen, um Kritik an irgendwelchen Gegenwarts-Vorstellungen zu üben. Es sollte erst überall sorgfältig geprüft werden, inwiefern in einer solchen Vorstellung ein gesunder Ausgangspunkt gegeben ist. Die Sache liegt zumeist so, dass in der Gegenwart überall solche bedeutsame Ausgangspunkte vorliegen. Man wird deshalb nicht mit der Kritik zurückhalten müssen. Aber man sollte nur kritisieren, was man zuerst auch in seiner Eigenart auseinandergesetzt hat.

Würde das beachtet, so könnte in der Anthroposophischen Gesellschaft etwas hinwegfallen, was in der letzten Zeit Schwierigkeiten gemacht hat. Es haben die Wissenschafter bei uns eine Wirksamkeit entwickelt, über die man nur tief befriedigt sein kann. Und doch ist in vielen Mitgliedern das Gefühl entstanden, dass diese Wissenschafter zu »wenig anthroposophisch« wirken.

Ein Seitenstück dazu ist dadurch entstanden, dass anthroposophische Haltung versucht worden ist als Lebenspraxis auf verschiedenen Gebieten auszubilden. Auch da ist in vielen Mitgliedern das Gefühl entstanden, es gehe in solchen »Unternehmungen« gar nicht anthroposophisch zu.

Die Kritik, die hier einsetzt, ist gewiss nur zum Teil berechtigt. Denn der Kritiker sieht oft nicht, wie schwierig derartige Versuche in der Gegenwart sind, und wie alles Zeit braucht, um in entsprechender Art verwirklicht zu werden.

Aber eine gesunde Grundlage hat doch die Empfindung vieler Mitglieder. Man hat als Anthroposoph zunächst die Aufgabe, durch Anthroposophie das Seelenauge zu schärfen, um dasjenige im rechten Lichte zu sehen, was unsere Zeitkultur hervorbringt. Denn diese hat ja das Eigentümliche,dass sie unendlich viel Fruchtbares findet, aber des Bodens ermangelt, in dem sie in richtiger Art dieses Fruchtbare einpflanzen kann. Sicherlich muss man oft gerade dann mit der herbsten Kritik schliessen, wenn man sich positiv und nicht negativ zu den Zeiterscheinungen der Gegenwart stellt.

Wenn man die positive Orientierung ausser acht lässt, wird man der Gefahr nicht entrinnen, zurückzuzucken vor dem Sprechen in der wirklichen anthroposophischen Art. Wie oft hört man gerade von Wissenschaftern in der Anthroposophischen Gesellschaft sagen: wir schrecken die Nicht-Anthroposophen ab, wenn wir ihnen so ohne weiteres vom Aether- oder Astralleib reden. Aber wir bleiben unfruchtbar, wenn wir die Nicht-Anthroposophen auf ihrem Felde kritisieren und dabei uns nur derjenigen Urteile bedienen, die auch auf diesem Felde selbst wachsen können. Man kann von Aether- und Astralleib sprechen, wenn man sagt, warum man dieses tut.

Bestrebt man sich aber, von dem eigentlich Anthroposophischen so zu sprechen, dass man überall das von Anthroposophie geschärfte Seelenauge walten lässt, dann wird auch unter den Mitgliedern der Anthroposophischen Gesellschaft das Gefühl verschwinden, unsere Wissenschafter reden in einer Art, die nicht anthroposophisch genug ist, und die Praktiker handeln so, wie man es von Mitgliedern der Gesellschaft nicht erwarten sollte.

Man wird die Gesinnung in dieser Richtung orientieren müssen, wenn unsere Weihnachtstagung nicht eine Summe frommer Wünsche bleiben soll, sondern wenn ihre Absichten der Verwirklichung entgegen gehen sollen.

 

Weitere Leitsätze vom Goetheanum ausgegeben.

8. Man kann die Wesenheit des Menschen betrachten, insoferne diese aus seinem physischen und seinem ätherischen Leib sich ergibt. Man wird finden, dass alle Erscheinungen am Menschen, die von dieser Seite ausgehen, nicht zum Bewusstsein führen, sondern im Unbewussten verbleiben. Das Bewusstsein wird nicht erhellt, sondern verdunkelt, wenn die Tätigkeit des physischen und des Aetherleibes erhöht wird. Ohnmachtszustände kann man als Ergebnis einer solchen Erhöhung erkennen. Durch die Verfolgung einer solchen Urteilsorientierung gelangt man dazu, anzuerkennen, dass in die Organisation des Menschen ‒ und auch des Tieres ‒ etwas eingreift, das mit dem Physischen und Aetherischen nicht von der gleichen Art ist. Es ist wirksam nicht, wenn das Physische und Aetherische aus seinen Kräften heraus tätig ist, sondern wenn diese aufhören, auf ihre Art wirksam zu sein. Man kommt so zum Begriffe des Astralleibes.

9. Die Wirklichkeit dieses Astralleibes wird gefunden, wenn man durch die Meditation von dem Denken, das durch die Sinne von aussen angeregt wird, zu einem innerlichen Anschauen fortschreitet. Man muss dazu das von Aussen angeregte Denken innerlich ergreifen, und es in der Seele als solches, ohne seine Beziehung auf die Aussenwelt, intensiv erleben; und dann durch die Seelenstärke, die man in solchem Ergreifen und Erleben sich angeeignet hat, gewahr werden, dass es innere Wahrnehmungsorgane gibt, die ein Geistiges schauen da, wo in Tier und Menschen der physische und der ätherische Leib in ihren Schranken gehalten werden, damit Bewusstsein entstehe.

10. Das Bewusstsein entsteht nicht durch ein Fortführen derjenigen Tätigkeit, die aus dem physischen und dem Aetherleib als Ergebnis kommt, sondern diese beiden Leiber müssen mit ihrer Tätigkeit auf den Nullpunkt kommen, ja noch unter denselben, damit »Platz entstehe« für das Walten des Bewusstseins. Sie sind nicht die Hervorbringer des Bewusstseins, sondern sie geben nur den Boden ab, auf dem der Geist stehen muss, um innerhalb des Erdenlebens Bewusstsein hervorzubringen. Wie der Mensch auf der Erde einen Boden braucht, auf dem er stehen kann, so braucht das Geistige innerhalb des Irdischen die materielle Grundlage, auf der es sich entfalten kann. Und so wie im Weltenraum der Planet den Boden nicht braucht, um seinen Ort zu behaupten, so braucht der Geist, dessen Anschauung nicht durch die Sinne auf das Materielle, sondern durch die Eigenkraft auf das Geistige gerichtet ist, nicht diese materielle Grundlage, um seine bewusste Tätigkeit in sich rege zu machen.

 

 

IX

Die individuelle Gestaltung anthroposophischer Wahrheiten.

Die vorangehenden Betrachtungen habe ich an die Mitglieder gerichtet in der Hoffnung, dadurch Einiges dazu beizutragen, dass sie den Gegenstand von Erwägungen an den verschiedenen Orten bilden, an denen Anthroposophen sind. Es erschiene mir gut, wenn die in der Gesellschaft tätigen Mitglieder sie zum Ausgangspunkte nehmen wollten, um an sie anknüpfend die gesamte Mitgliedschaft zu einem gemeinsamen Bewusstsein von dem Wesen der Anthroposophischen Gesellschaft zu erheben.

Es ist gewiss richtig, dass in unseren Zweigversammlungen das Besprechen der anthroposophischen Weltanschauung und deren Einführung in das Leben den Hauptteil der Tätigkeit ausmachen muss. Aber es kann in so mancher Zweigversammlung doch auch ein ‒ wenn auch noch so geringer ‒ Teil der Zeit dazu verwendet werden, um solche Dinge zu besprechen, wie sie in diesen Betrachtungen angedeutet werden. Gerade dadurch wird manches Mitglied in rechter Art angeregt werden, auch der nicht-anthroposophischen Aussenwelt gegenüber ein Repräsentant der Gesellschaft zu sein.

Überdie Anthroposophische Gesellschaft wird man nicht so denken können, als ob ihr Wesen und ihre Aufgabe mit ein paar Statutenparagraphen erschöpft wären. Dadurch, dass Anthroposophie tief in das Denken, Fühlen und Wollen des Menschen Impulse bringt, wird sie auch wieder von dem Seelenleben der Menschen stark beeinflusst. Man kann ihren Inhalt in allgemeine Sätze fassen, wie man das auf den verschiedensten Gebieten des Geisteslebens tut. Allein, so notwendig dieses ist, man sollte dabei nicht stehenbleiben. Die allgemeinen Sätze werden lebensvolle Färbungen dadurch erhalten können, dass sie ein jeglicher, der sie in seinem Gemüte trägt, aus seinen eigenen Lebenserfahrungen heraus ausspricht. Und mit jeder solchen individuellen Gestaltung kann etwas Wertvolles für das Verständnis der anthroposophischen Wahrheiten gewonnen sein.

Legt man dieser Tatsache Gewicht bei, so wird man die Entdeckung machen, dass man in dem Wesen der Anthroposophischen Gesellschaft immer wieder neue Seiten gewahr wird.

Jedes in der Gesellschaft tätige Mitglied wird oft genug in der Lage sein, über dieses oder jenes gefragt zu werden. Der Fragende sucht Belehrung durch die Antworten, die er erhält; der Gefragte kann Belehrung suchen durch die Art, wie die Fragen gestellt werden. Man sollte an dieser Belehrung nicht unaufmerksam vorbeigehen. Man lernt vor allem an den Fragen das Leben kennen. Es tritt oft der Anlass zutage, aus dem heraus gefragt wird. Der Gefragte sollte dankbar sein, wenn Fragende so zu ihm sprechen. Er wird durch ihre Hilfe imstande sein, immer besser in seinen Antworten sich verhalten zu können. Was insbesondere sich bessern wird, ist der Gefühlston, der durch die Antworten hindurchklingt. Und dieser Gefühlston ist ein Wesentliches im Mitteilen anthroposophischer Wahrheiten. Es kommt dabei durchaus nicht bloss darauf an, was man sagt, sondern vor allem, wie man es sagt.

Anthroposophische Wahrheiten sind doch, von einem gewissen Gesichtspunkte aus, das Wichtigste, was Menschen sich mitteilen können. Solche Mitteilungen einem andern ohne tiefen innern Anteil an dem Mitgeteilten zu machen, ist eigentlich schon eine Entstellung derselben. Aber diese Anteilnahme wird dadurch vertieft, dass man bei den verschiedensten Menschen fühlt, aus welchem Lebensuntergrunde sie die Fragen stellen. Man braucht jedoch nicht zum Examinator oder seelischen Vivisektor des andern zu werden. Man kann ganz zufrieden sein mit dem, was er ganz von sich aus in sein Fragen legt. Befriedigt damit sein, auf alle Fragen nach einem zurechtgelegten Schema zu antworten, sollte kein tätiges Mitglied der Anthroposophischen Gesellschaft.

Man betont ‒ mit Recht ‒ oft, Anthroposophie müsse Leben im Menschen werden, nicht blosse Lehre bleiben. Aber Leben kann nur etwas werden, das fortdauernd vom Leben angeregt wird.

Durch die Pflege eines solchen Verhaltens in der Anthroposophie wird diese zum Antrieb der Menschenliebe. Und in diese sollte alles Wirken auf anthroposophischem Gebiete getaucht sein. Wer sich viel in der Anthroposophischen Gesellschaft umgesehen hat, der kann wissen, dass viele Persönlichkeiten in sie kommen, weil ihnen an andern Orten die Lebenswahrheiten so entgegentreten, dass sie des Grundtones der Liebe entbehren. Diesen Ton hört die Menschenseele aus dem Gesprochenen mit feiner Empfindlichkeit heraus. Und er bildet im höchsten Grade einen Vermittler des Verständnisses.

Man wird vielleicht sagen: wie soll man Liebe in eine Darstellung der Erdenentwickelung bringen? Hat man sich ein Verständnis dafür angeeignet, dass die Erd- und Weltentwickelung nur die andere Seite der Menschheitsentwickelung ist, so wird man nicht zweifeln, dass gerade für solche Wahrheiten die Liebe das Seelenvolle in ihnen bildet.

 

Weitere Leitsätze von Goetheanum ausgegeben.

11. Das Selbstbewusstsein, das im »Ich« sich zusammenfasst, steigt aus dem Bewusstsein auf. Dieses entsteht, wenn das Geistige in den Menschen dadurch eintritt, dass die Kräfte des physischen und des ätherischen Leibes diese abbauen. Im Abbau dieser Leiber wird der Boden geschaffen, auf dem dasBewusstsein sein Leben entfaltet. Dem Abbau muss aber, wenn die Organisation nicht zerstört werden soll, ein Wiederaufbau folgen. So wird, wenn für ein Erleben des Bewusstseins ein Abbau erfolgt ist, genau das Abgebaute wieder aufgebaut werden. In der Wahrnehmung dieses Aufbaues liegt das Erleben des Selbstbewusstseins. Man kann in innerer Anschauung diesen Vorgang verfolgen. Man kann empfinden, wie das Bewusste in das Selbstbewusste dadurch übergeführt wird, dass man aus sich ein Nachbild des bloss Bewussten schafft. Das bloss Bewusste hat sein Bild in dem durch den Abbau gewissermassen leer Gewordenen des Organismus. Es ist in das Selbstbewusstsein eingezogen, wenn die Leerheit von innen wieder erfüllt worden ist. Das Wesenhafte, das zu dieser Erfüllung fähig ist, wird als »Ich« erlebt.

 

12. Die Wirklichkeit des »Ich« wird gefunden, wenn man die innere Anschauung, durch die der Astralleib erkennend ergriffen wird, dadurch weiter fortbildet, dass man das erlebte Denken in der Meditation mit dem Willen durchdringt. Man hat sich diesem Denken zuerst willenlos hingegeben. Man hat es dadurch dazu gebracht, dass ein Geistiges in dieses Denken eintritt, wie die Farbe bei der sinnlichen Wahrnehmung in das Auge, der Ton in das Ohr eintritt. Hat man sich in die Lage gebracht, dasjenige, das man auf diese Art, durch passive Hingabe, im Bewusstsein verlebendigt hat, durch einen Willensakt nachzubilden, so tritt in diesen Willensakt die Wahrnehmung des eigenen »Ich« ein.

 

13. Man kann auf dem Wege der Meditation zu der Gestalt, in der das »Ich« im gewöhnlichen Bewusstsein auftritt, drei weitere Formen finden: 1. In dem Bewusstsein, das den Aetherleib erfasst, erscheint das »Ich« als Bild, das aber zugleich tätige Wesenheit ist und als solche dem Menschen Gestalt, Wachstum, Bildekräfte verleiht. 2. In dem Bewusstsein, das den Astralleib erfasst, offenbart sich das »Ich« als Glied einer geistigen Welt, von der es seine Kräfte erhält. 3. In dem Bewusstsein, das eben als das zuletzt zu erringende angeführt worden ist, zeigt sich das »Ich« als eine von der geistigen Umwelt relativ unabhängige, selbständige geistige Wesenheit.

X

Die Darstellung anthroposophischer Wahrheiten.

In der Darstellung anthroposophischer Wahrheiten wird um so mehr Leben sein können, je mehr das Dargestellte in der mannigfaltigsten Art von den verschiedensten Gesichtspunkten betrachtet auftritt. Man sollte deshalb sich nicht scheuen, als tätiges Mitglied in der Gesellschaft, denselben Gegenstand in den Zweigversammlungen immer wieder zu behandeln. Aber man wird dabei nötig haben, an ihn von den verschiedensten Seiten heranzutreten. Durch die Art, sich zu den Fragen seiner Mitmenschen so zu verhalten, wie das in meinem letzten Briefe geschildert worden ist, wird man zu einer solchen Betrachtung wie von selbst hingeführt. Man lernt dabei die Lebendigkeit der anthroposophischen Einsichten erst recht kennen. Man fühlt, wie jedes Gedankenbild, in das man diese Einsichten gebracht hat, ein unvollkommenes sein muss. Man empfindet, dass, was man in der Seele trägt, unermesslich viel reicher ist als dasjenige, was man im Gedanken aussprechen kann. Wird man dies mit immer grösserer Deutlichkeit gewahr, dann steigert sich in der Seele die Ehrfurcht vor dem geistigen Leben. Und diese Ehrfurcht muss in aller anthroposophischen Darstellung walten. Sie muss einer der Grundtöne sein, welche diese Darstellung durchziehen. Wo diese Ehrfurcht fehlt, da ist in dem Besprechen anthroposophischer Wahrheiten keine Kraft.

Man sollte diese Kraft nicht auf eine äusserliche Art in das Sprechen über Anthroposophie bringen wollen. Man sollte ihre Entwicklung dem lebendigen Gefühl überlassen, in dem man zu den Wahrheiten dadurch steht, dass man das Bewusstsein hat, man nähert sich mit ihrem Ergreifen in der Seele der wirklichen geistigen Welt. ‒ Das gibt der Seele eine gewisse Stimmung. Sie fühlt sich für Augenblicke ganz hingegeben an die Gedanken von der geistigen Welt. In dieser Hingabe stellt sich die Ehrfurcht vor dem Geistigen auf ganz selbstverständliche Art ein.

In der Entwickelung einer solchen Stimmung liegt der Anfang aller wahren Meditation. Wer eine solche Stimmung der Seele nicht lieben kann, der wird vergeblich die Regeln anwenden für die Erlangung von Erkenntnissen einer »geistigen Welt«. Denn in dieser Stimmung wird das Geistige, das in den Tiefen der Menschenseele liegt, vor das Bewusstsein gerufen. Der Mensch vereinigt sich dadurch mit seiner eigenen Geisthaftigkeit. Und nur in dieser Vereinigung kann er das Geistige in der Welt finden. Nur der Geist im Menschen kann an den Geist der Welt herantreten.

Nun werden die tätigen Mitglieder der Gesellschaft bei denen andere Rat suchen, durch das Erwerben dieser Stimmungsmomente ihre Wahrnehmungsfähigkeit für dasjenige steigern, was der Andere eigentlich will. Es wird dem Menschen oft schwer, sich über das deutlich auszusprechen, was seine Seele am allertiefsten bewegt. Deshalb wird der Gefragte nur allzuleicht an dem eigentlichen Bedürfnisse des Fragenden vorbeihören. Dann stellt sich bei diesem das berechtigte Gefühl ein, dass er über das Gewollte doch keine Antwort erhalten habe. Steht aber der Gefragte vor dem Fragenden in einer Seelenverfassung, die errungen ist durch innere Stimmungen von der beschriebenen Art, dann wird er dem Fragenden die Zunge lösenkönnen. Dieser wird jenes wahre, intime Vertrauen zu dem Gefragten entwickeln, das der Mitteilung anthroposophischer Wahrheiten rechtes Leben gibt. Es wird sich in diese Mitteilung etwas hineinversetzen, das den, der die Antwort erhalten hat, von dieser aus dann selbständig seinen Weg in dem Verfolgen seiner geistigen Bedürfnisse gehen lässt. Er wird vielleicht das Gefühl haben, wenn auch die Antwort nicht alles enthalten hat, was er suchte, so werde er jetzt imstande sein, sich weiter zu helfen. Ein inneres Kraftgefühl wird sich in der Seele statt eines vorher vorhandenen Ohnmachtsgefühles einstellen. Und dieses Kraftgefühl hat der Fragende in Wahrheit gesucht.

Man sollte nicht glauben, dass man ohne Gedanken, in blossen Gefühlen die Antworten auf brennende Seelenfragen finden kann. Aber ein Gedanke, der sich in kalter Abgeschlossenheit gegenüber den Gefühlen entwickelt, findet nicht den Weg zu dem menschlichen Herzen. Man soll jedoch auch nicht die Furcht davor haben, dass das Gefühl der Objektivität des Gedankens schaden müsse. Das wird nur der Fall sein, wenn es nicht durch die beschriebene Stimmung den Weg zu der Geisthaftigkeit des Menschen gefunden hat.

Weitere Leitsätze vom Goetheanum ausgegeben

14. Die zweite Gestalt des »Ich«, die in der Darstellung des dritten Leitsatzes angedeutet worden ist, tritt als »Bild« dieses Ich auf. Durch das Gewahrwerden dieses Bildcharakters wird auch ein Licht geworfen auf die Gedankenwesenheit, in der das »Ich« vor dem gewöhnlichen Bewusstsein erscheint. Man sucht durch allerlei Betrachtungen in dem gewöhnlichen Bewusstsein das »wahre Ich«. Doch eine ernstliche Einsicht in die Erlebnisse dieses Bewusstseins zeigt, dass man in demselben dieses »wahre Ich« nicht finden kann; sondern dass da nur der gedankenhafte Abglanz, der weniger als ein Bild ist, aufzutreten vermag. Man wird von der Wahrheit dieses Tatbestandes erst recht erfasst, wenn man fortschreitet zu dem »Ich« als Bild, das in dem Aetherleib elebt. Und dadurch wird man erst richtig zu dem Suchen des Ich als der wahren Wesenheit des Menschen angeregt.

15. Die Einsicht in die Gestalt, in der das »Ich« im Astralleibe lebt, führt zu einer rechten Empfindung von dem Verhältnisse des Menschen zu der geistigen Welt. Diese Ich-Gestalt ist für das gewöhnliche Erleben in die dunklen Tiefen des Unbewussten getaucht. In diesen Tiefen tritt der Mensch mit der geistigen Weltwesenheit durch Inspiration in Verbindung. Nur ein ganz schwacher gefühlsmässiger Abglanz von dieser in den Seelentiefen waltenden Inspiration aus den Weiten der geistigen Welt steht vor dem gewöhnlichen Bewusstsein.

16. Die dritte Gestalt des »Ich« gibt die Einsicht in die selbständige Wesenheit des Menschen innerhalb einer geistigen Welt. Sie regt die Empfindung davon an, dass der Mensch mit seiner irdisch-sinnlichen Natur nur als die Offenbarung dessen vor sich selber steht, was er in Wirklichkeit ist. Damit ist der Ausgangspunkt wahrer Selbsterkenntnis gegeben. Denn jenes Selbst, das den Menschen in seiner Wahrheit gestaltet, wird sich der Erkenntnis erst offenbaren, wenn er vom Gedanken des Ich zu dessen Bilde, von dem Bilde zu den schöpfenden Kräften dieses Bildes, und von da zu den geistigen Trägern dieser Kräfte fortschreitet.

 

 

XI

Vom anthroposophischen Lehren.

Die Anregung, sich mit Anthroposophie zu beschäftigen, wird in den meisten Fällen davon herkommen, dass dem Menschen der Blick in die aussermenschliche Welt zu einem Quell der Unbefriedigung wird, und er dadurch veranlasst wird, die Betrachtung auf das eigene Menschenwesen zu lenken. Er ahnt, dass die Rätsel, welche das Leben aufgibt, nicht durch Hinausschauen in das Weltgetriebe, sondern durch Hineinblicken in das menschliche Innensein zur Aufhellung kommen. Das Streben nach Welterkenntnis verwandelt sich ihm in dasjenige nach Selbsterkenntnis.

Die in der Anthroposophischen Gesellschaft tätig sein wollenden Mitglieder werden auf dieses zu achten haben. Dann werden sie auf der einen Seite ihre Aufgabe in der rechten Art empfinden lernen. Sie werden aber auch die Gefahren erkennen lernen, die mit dieser Aufgabe verbunden sind.

Streben nach Selbsterkenntnis treibt nur allzu oft, wenn sie irregeleitet ist, zu einer besonderenForm des Egoismus. Der Mensch kann sich selbst zu wichtig nehmen und dadurch das Interesse für alles verlieren, was sich ausser ihm abspielt. Jedes rechte Streben kann eben, wenn es in Einseitigkeit verfällt, in die Irre gehen.

Man kommt überhaupt zu keiner Weltanschauung, wenn man diese nicht durch eine Menschen-Anschauung sucht. Denn die uralte Wahrheit, dass der Mensch ein Mikrokosmos, eine wahre »kleine Welt« ist, wird sich immer auch als die allerneueste erweisen. Der Mensch birgt in seinem eigenen Wesen alle Rätsel und Geheimnisse der »grossen Welt«, des Makrokosmos.

Erfasst man dieses in rechter Art, so wird jeder Blick in das Menschen-Innere die Aufmerksamkeit auf die aussermenschliche Welt lenken. Und Selbsterkenntnis wird das Tor zur Welterkenntnis werden. Erfasst man es in irriger Art, so wird man sich mit der Selbstbetrachtung in das eigene Wesen einsperren und die Anteilnahme für die Welt verlieren.

Das letztere darf durch die Anthroposophie nicht geschehen. Sonst wird die Klage nicht verstummen, die man von vielen in die Anthroposophische Gesellschaft Neu-Eintretenden hören kann: ach, wie egoistisch denken doch die Anthroposophen.

Wer sich selbst kennen lernen will, der sollte durch das, was er in dieser Selbsterkenntnis erwirbt, den Blick schärfen können zunächst dafür, wie alles, was an ihm ist, ihm auch in dem andern Menschen entgegentritt. Man empfindet, was der Mitmensch erlebt, wenn man ein ähnliches in sich selbst erlebt hat. Solange dieses Selbst-Erleben fehlt, geht man an dem Erleben des Andern vorüber, ohne es in der richtigen Weise zu sehen. Aber es kann das Fühlen auch durch das eigene Erleben so gefesselt werden, dass es für den Andern nichts mehr übrig behält.

Die in der Gesellschaft tätigen Mitglieder werden ihr Wirken nach dieser Richtung zu einem förderlichen machen, wenn sie nur acht geben wollen auf die Gefahren, die da lauern. Sie werden dann verhindern, dass Selbsterkenntnis in Selbstliebe ausartet. Sie werden vielmehr ihrem Wirken den Ton verleihen, der die Selbst-Erkenntnis in die Menschen-Liebe hinüberleitet. Und wer Interesse für den andern Menschen entwickelt, der wird es auch an Interesse für die Welt im allgemeinen nicht fehlen lassen.

Ich habe Freunden, die von mir zu irgendeiner Gelegenheit einen Gedenkspruch forderten, oft den folgenden gegeben:

Willst du das eigene Wesen erkennen,

Sieh dich in der Welt nach allen Seiten um.

Willst du die Welt wahrhaft durchschauen,

Blick in die Tiefen der eignen Seele.

In der Orientierung, welche dieser Spruch gibt, muss der Vortrag anthroposophischer Erkenntnisse sich halten. Dann wird vermieden werden, dass durch das Besprechen des menschlichen Innenwesens das egoistische Sich-Hineinspinnen in das eigene Wesen zu stark angefacht wird.

Es wirkt in der Tat abstossend, wenn der Neu-Eintretende an den Anthroposophen nur bemerken kann, wie sich diese nur mit sich selbst beschäftigen wollen. Man wird gewahr, wie Menschen, die eine Zeitlang Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft gewesen sind, bei jeder Gelegenheit darüber jammern, dass ihnen das Leben keine Zeit lässt, sich in die Anthroposophie recht zu vertiefen. Besonders häufig findet man das bei solchen Menschen, die ihr Tätigkeitsfeld innerhalb der anthroposophischen Bewegung selbst gefunden haben. Ihnen wird leicht die Arbeit zuviel, weil sie meinen, sie werden durch sie von der Meditation, von dem Lesen anthroposophischer Schriften usw. abgehalten. Aber durch die Liebe zur anthroposophischen Erkenntnis darf nicht die freudige Hingabe an die Notwendigkeiten des Lebens gestört werden. Ist das der Fall, so wird die Beschäftigung mit der Anthroposophie auch nicht die rechte Wärme haben können; sie wird zum kalten Egoismus ausarten.

Sich stark mit dieser Erkenntnis zu durchdringen, wird eine Aufgabe für die in der Gesellschaft tätig sein wollenden Mitglieder sein müssen. Dann werden sie den Ton für ihr Wirken finden können, der Gefahren aus dem Felde schlägt, die sich leicht einstellen können.

 

Leitsätze, die vom Goetheanum ausgegeben werden.

17. Der Mensch ist ein Wesen, das in der Mitte zwischen zwei Weltgebieten sein Leben entfaltet. Er ist mit seiner Leibes-Entwicklung in eine »untere Welt« eingegliedert; er bildet mit seiner Seelen-Wesenheit eine »mittlere Welt«, und er strebt mit seinen Geisteskräften nach einer »obern Welt« hin. Seine Leibes-Entwicklung hat er von dem, was ihm die Natur gegeben hat; seine Seelen-Wesenheit trägt er als seinen eigenen Anteil in sich; die Geisteskräfte findet er in sich als die Gaben, die ihn über sich selbst hinaus führen zur Anteilnahme an einer göttlichen Welt.

18. Der Geist ist in diesen drei Weltgebieten schaffend. Die Natur ist nicht geistlos. Man verliert erkennend auch die Natur, wenn man in ihr den Geist nicht gewahr wird. Aber man wird allerdings innerhalb des Naturdaseins den Geist wie schlafend finden. So wie aber der Schlaf im Menschenleben seine Aufgabe hat und das »Ich« eine gewisse Zeit schlafen muss, um zu einer andern recht wach zu sein, so muss der Weltengeist an der »Natur-Stelle« schlafen, um an einer andern recht wach zu sein.

19. Der Welt gegenüber ist die Menschenseele ein träumendes Wesen, wenn sie nicht auf den Geist achtet, der in ihr wirkt. Dieser weckt die im eigenen Innern webenden Seelenträume zur Anteilnahme an der Welt, aus welcher des Menschen wahres Wesen stammt. Wie sich der Träumende vor der physischen Umwelt verschliesst und in das eigene Wesen einspinnt, so müsste die Seele ihren Zusammenhang mit dem Geiste der Welt verlieren, aus dem sie stammt, wenn sie die Weckrufe des Geistes in sich selbst nicht hören wollte.

   

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