top of page

XXV

Noch etwas über die Auswirkungen

der Weihnachtstagung.

Zu den Auswirkungen der Weihnachtstagung sollte auch gehören, dass durch die tätigseinwollenden Mitglieder immer klarer vor die Welt hingestellt würde, was Anthroposophie ihrem Wesen nach ist und nicht ist. Solange immer noch die Meinung diskutiert werden kann: Sollte man nicht das oder jenes auf anthroposophischem Boden Gewonnene da oder dort »einfliessen« lassen, ohne die Leute dadurch abzuschrecken, dass man ihnen sagt, das sei Anthroposophie; so lange wird innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft vieles nicht in Ordnung kommen.

Nun handelt es sich darum, nach dieser Richtung wirklich nach Klarheit zu streben. Es ist ein Unterschied zwischen dem sektiererischen Eintreten für irgend etwas, das man sich als dogmatische Anthroposophie zurecht gelegt hat, und dem geradsinnigen, offenen, unversteckten und unverbrämten Eintreten für dasjenige, was durch Anthroposophie an Erkenntnis über die geistige Welt so zutage tritt, dass der Mensch ein menschenwürdiges Verhältnis zu dieser Welt gewinnen kann.

In der letzteren Art restlos das Arbeiten für Anthroposophie aufzufassen, ist die Aufgabe des Vorstandes am Goetheanum; und dieser wird von den tätigseinwollenden Mitgliedern in dieser seiner besonderen Eigenart auch recht verstanden werden müssen. Durch die Weihnachtstagung soll bewirkt werden, dass Anthroposophie und anthroposophische Gesellschaft immer mehr zusammenwachsen. Das kann nicht geschehen, wenn die Saat weiter blüht, die dadurch ausgestreut worden ist, dass man immer wieder zwischen »Rechtgläubigkeit« und »Ketzerei« innnerhalb des Kreises derer unterschied, die sich in der anthroposophischen Gesellschaft zusammengefunden haben.

Man muss vor allem wissen, was in dieser Richtung Anthroposophie als geistige Haltung möglich macht. Sie besteht nicht in einer Summe von Meinungen, welche die »Anthroposophen« haben müssen. Es sollte unter den Anthroposophen gar nicht das Wort aufkommen: »Wir glauben dies; wir weisen jenes zurück.« So etwas kann sich als die naturgemässe Folge des anthroposophischen Wirkens ergeben; als Programm darf es nirgends zur Geltung gebracht werden. Es kann nur das Urteil geben: »Anthroposophie ist da; sie ist erarbeitet worden; ich trete dafür ein, dass in der Welt das Erarbeitete bekannt werde.« Dass ein Unterschied wie zwischen Tag und Nacht zwischen den beiden hier angeführten Urteilen besteht, das wird in Anthroposophenkreisen noch viel zu wenig empfunden. Sonst könnte man nicht immer wieder sogar den grotesken Ausspruch hören: »Die anthroposophische Gesellschaft glaubt dies oder jenes.« Ein solcher Ausspruch hat in Wirklichkeit gar keinen Inhalt. Dass man dieses empfinde, darauf kommt es an.

Wollte man etwa herumfragen, um über Anthroposophie klar zu werden: was für eine Meinung oder Lebenshaltung hat der oder jener, der in der anthroposophischen Gesellschaft als Mitglied eingeschrieben ist, so würde man einen ganz falschen Weg einschlagen, um zu dem Wesen der Anthroposophie zu kommen. Dennoch wirken viele tätigsein wollende Mitglieder so, dass diese Frage immer wieder auftauchen muss. Es sollte aber nur die Meinung entstehen: Da gibt es in der Welt Anthroposophie; die anthroposophische Gesellschaft gibt Gelegenheit, sie kennen zu lernen.

Jeder der neu in diese Gesellschaft eintritt, sollte das Gefühl haben: ich trete ein lediglich, um Anthroposophie kennenzulernen. Dass solch ein Gefühl in rechter Art entstehe, kann durch die Haltung der tätigseinwollenden Mitglieder bewirkt werden. Heute aber wird vielfach etwas ganz anderes bewirkt. Die Leute haben Angst davor, der Gesellschaft beizutreten, weil sie aus der Haltung tätigseinwollender Mitglieder den Eindruck empfangen: sie müssten sich mit dem innersten Wesen ihrer Seele gewissen Dogmen verschreiben. Davor schrecken sie natürlich zurück.

Es muss der gute Wille dazu da sein, diesen Eindruck immer mehr zum Verlöschen zu bringen. Viele tätigseinwollende Mitglieder meinen, ja, wenn man die Leute bloss deshalb aufnimmt, damit sie in der Gesellschaft die Anthroposophie kennen lernen, dann treten sie eben wieder aus, wenn sie dieses Kennenlernen besorgt haben. Und wir haben nie eine in sich geschlossene Gesellschaft.

So kann es aber nicht kommen, wenn die anthroposophische Gesellschaft von ihren tätigseinwollenden Mitgliedern in der rechten Art aufgefasst wird. Es wird aber immer so kommen, wenn man die Zugehörigkeit zur Gesellschaft von dem Bekenntnis zu dem auch nur kleinsten Dogma abhängig machen will. Und ein Dogma ist auch jeglicher Programmpunkt.

Wenn aber die Mitglieder der anthroposophischen Gesellschaft daraufhin orientiert sind, die Anthroposophie durch die Mitgliedschaft kennenzulernen, dann wird es von etwas ganz anderem abhängen, ob sie drinnen bleiben oder nicht. Dann wird dies nämlich davon abhängen, ob sie Hoffnungen haben können, in der Gesellschaft immer weiter etwas kennenlernen zu können.

Das aber wieder wird darauf zurückgehen, ob der Kern der Gesellschaft wirklich lebt oder ob er tot ist; und ob im Umkreis der Gesellschaft die Bedingungen dazu vorhanden sind, dass der lebendige Kern nicht ersterbe, wenn er in die Gesellschaft hineinwachsen will. Dass der Kern lebendig sei, das ist die Sorge des Vorstandes am Goetheanum. Der verwaltet nicht Dogmen; er fühlt sich nur als Träger eines Geistesgutes, dessen Wert ihm bekannt ist; und er arbeitet an der Verbreitung dieses Geistesgutes. Er ist über jeden Menschen befriedigt, der da kommt und sagt: ich will Anteil nehmen an dem, was ihr da macht. Das ergibt die lebendige Gestaltung der anthroposophischen Gesellschaft. Und diese wird lebendig erhalten, wenn sich alle tätigseinwollenden Mitglieder der Gesinnung und Wirkensweise nach einig halten mit dem Vorstande am Goetheanum.

Alles, was man »Vertrauen« innerhalb der Gesellschaft zu nennen berechtigt ist, kann nur auf einer solchen Grundlage erwachsen. Ist diese Grundlage vorhanden, dann wird es nicht immer wieder vorkommen, dass die anthroposophische Gesellschaft vor der Welt als etwas ganz anderes erscheint, als sie ist.

Ich kenne nun die Urteile ganz gut, die bei vielen tätigseinwollenden Mitgliedern der Gesellschaft aufkommen, wenn sie das Vorangehende lesen. Sie werden sagen: das können wir nicht verstehen; jetzt wissen wir erst recht nicht, was da eigentlich gewollt wird. Aber gerade dies ist das schlimmste Vorurteil. Man lese nur einmal die Sache genau; und man wird sie nicht unbestimmt und vieldeutig finden, sondern nur so, dass, um sie in die Gesinnung aufzunehmen, ein gewisses Zartgefühl im Verstehen gehört. Aber dieses sollte doch da sein bei denjenigen, die in der anthroposophischen Gesellschaft tätig sein wollen.

 

Weitere Leitsätze

59. Eine unbefangene Betrachtung des Denkens zeigt, dass die Gedanken des gewöhnlichen Bewusstseins kein eigenes Dasein haben, dass sie nur wie Spiegelbilder von etwas auftreten. Aber der Mensch fühlt sich als lebendig in den Gedanken. Die Gedanken leben nicht; er aber lebt in den Gedanken. Dieses Leben urständet in Geist-Wesen, die man (im Sinne meiner »Geheimwissenschaft«) als die der dritten Hierarchie, als eines Geist-Reiches, ansprechen kann.

60. Die Ausdehnung dieser unbefangenen Betrachtung auf das Fühlen zeigt, dass die Gefühle aus dem Organismus aufsteigen, dass sie aber nicht von diesem erzeugt sein können. Denn ihr Leben trägt ein vom Organismus unabhängiges Wesen in sich. Der Mensch kann sich mit seinem Organismus in der Naturwelt fühlen. Er wird aber gerade dann, wenn er dies, sich selbst verstehend tut, sich mit seiner Gefühlswelt in einem geistigen Reiche fühlen. Das ist dasjenige der zweiten Hierarchie.

61. Als Willenswesen wendet sich der Mensch nicht an seinen Organismus, sondern an die Aussenwelt. Er fragt nicht, wenn er gehen will, was empfinde ich in meinen Füssen, sondern, was ist dort draussen für ein Ziel, zu dem ich kommen will. Er vergisst seinen Organismus, indem er will. In seinem Willen gehört er seiner Natur nicht an. Er gehört da dem Geist-Reich der ersten Hierarchie an.

 

XXVI

Etwas vom Geist-Verstehen und Schicksals-Erleben.

In die Mitteilungen und Betrachtungen, die an dieser Stelle an die Mitglieder gerichtet werden, soll diesmal einiges einfliessen, das geeignet sein kann, den Gedanken über die Leitsätze eine weitere Richtung zu geben.

Das Verständnis des anthroposophischen Erkennens kann gefördert werden, wenn die menschliche Seele immer wieder auf das Verhältnis von Mensch und Welt hingelenkt wird.

Richtet der Mensch die Aufmerksamkeit auf die Welt, in die er hineingeboren wird und aus der er herausstirbt, so hat er zunächst die Fülle seiner Sinneseindrücke um sich. Er macht sich Gedanken über diese Sinnes-Eindrücke.

Indem er dieses sich zum Bewusstsein bringt: »Ich mache mir Gedanken über das, was mir meine Sinne als Welt offenbaren«, kann er schon mit der Selbstbetrachtung einsetzen. Er kann sich sagen: in meinen Gedanken lebe »Ich«. Die Welt gibt mir Veranlassung, in Gedanken mich zu erleben. Ich finde mich in meinen Gedanken, indem ich die Welt betrachte.

So fortfahrend im Nachsinnen verliert der Mensch die Welt aus dem Bewusstsein; und das Ich tritt in dieses ein. Er hört auf, die Welt vorzustellen; er fängt an, das Selbst zu erleben.

Wird umgekehrt die Aufmerksamkeit auf das Innere gerichtet, in dem die Welt sich spiegelt, so tauchen im Bewusstsein die Lebensschicksalsereignisse auf, in denen das menschliche Selbst von dem Zeitpunkte an, bis zu dem man sich zurückerinnert, dahingeflossen ist. Man erlebt das eigene Dasein in der Folge dieser Schicksals-Erlebnisse.

Indem man sich dieses zum Bewusstsein bringt: »Ich habe mit meinem Selbst ein Schicksal erlebt«, kann man mit der Weltbetrachtung einsetzen. Man kann sich sagen: In meinem Schicksal war ich nicht allein; da hat die Welt in mein Erleben eingegriffen. Ich habe dieses oder jenes gewollt; in mein Wollen ist die Welt hereingeflutet. Ich finde die Welt in meinem Wollen, indem ich dieses Wollen selbstbetrachtend erlebe.

So fortfahrend, sich in das eigene Selbst einlebend, verliert der Mensch das Selbst aus dem Bewusstsein; die Welt tritt in dieses ein. Er hört auf, das Selbst zu erleben; er fängt an, die Welt im Erfühlen gewahr zu werden.

Ich denke hinaus in die Welt; da finde ich mich; ich versenke mich in mich selbst, da finde ich die Welt. Wenn der Mensch dieses stark genug empfindet, steht er in den Welt- und Menschenrätseln drinnen.

Denn fühlen: man müht sich im Denken ab, um die Welt zu ergreifen, und man steckt in diesem Denken doch nur selbst darinnen, das gibt das erste Welträtsel auf.

Vom Schicksal in seinem Selbst sich geformt fühlen und in diesem Formen das Fluten des Weltgeschehens empfinden; das drängt zum zweiten Welträtsel hin.

In dem Erleben dieses Welt- und Menschenrätsels erkeimt die Seelenverfassung, in der der Mensch der Anthroposophie so begegnen kann, dass er in seinem Innern von ihr einen Eindruck erhält, der seine Aufmerksamkeit erregt.

Denn Anthroposophie macht nun dieses geltend: Es gibt ein geistiges Erleben, das nicht im Denken die Welt verliert. Man kann auch im Denken noch leben. Sie gibt im Meditieren ein inneres Erleben an, in dem man nicht denkend die Sinneswelt verliert, sondern die Geistwelt gewinnt. Statt in das Ich einzudringen, in dem man die Sinnen-Welt versinken fühlt, dringt man in die Geist-Welt ein, in der man das Ich erfestigt fühlt.

Anthroposophie zeigt im weiteren: Es gibt ein Erleben des Schicksals, in dem man nicht das Selbst verliert. Man kann auch im Schicksal noch sich selbst als wirksam erleben. Sie gibt in dem unegoistischen Betrachten des Menschenschicksals ein Erleben an, in dem man nicht nur das eigene Dasein, sondern die Welt lieben lernt. Statt in die Welt hineinzustarren, die in Glück und Unglück das Ich auf ihren Wellen trägt, findet man das Ich, das wollend das eigene Schicksal gestaltet. Statt an die Welt zu stossen, an der das Ich zerschellt, dringt man in das Selbst ein, das sich mit dem Weltgeschehen verbunden fühlt.

Das Schicksal des Menschen wird ihm von der Welt bereitet, die ihm seine Sinne offenbaren. Findet er die eigene Wirksamkeit in dem Schicksalswalten, so steigt ihm sein Selbst wesenhaft nicht nur aus dem eigenen Innern, sondern es steigt ihm aus der Sinneswelt auf.

Kann man auch nur leise empfinden, wie im Selbst die Welt als Geistiges erscheint und wie in der Sinneswelt das Selbst sich als wirksam erweist, so ist man schon im sicheren Verstehen der Anthroposophie darinnen.

Denn man wird dann einen Sinn dafür entwickeln, dass in der Anthroposophie die Geist-Welt beschrieben werden darf, die vom Selbst erfasst wird. Und dieser Sinn wird auch Verständnis dafür entwickeln, dass in der Sinneswelt das Selbst auch noch anders als durch Versenken in das Innere gefunden werden kann. Anthroposophie findet das Selbst, indem sie zeigt, wie aus der Sinneswelt für den Menschen nicht nur sinnliche Wahrnehmungen sich offenbaren, sondern auch die Nachwirkungen aus seinem vorirdischen Dasein und aus den vorigen Erdenleben.

Der Mensch kann nun in die Welt der Sinne hinausblicken und sagen: da ist ja nicht nur Farbe, Ton, Wärme; da wirken auch die Erlebnisse der Seelen, die diese Seelen vor ihrem gegenwärtigen Erdendasein durchgemacht haben. Und er kann in sich hineinblicken und sagen: da ist nicht nur mein Ich, da offenbart sich eine geistige Welt.

In einem solchen Verständnisse kann der von den Welt- und Menschenrätseln berührte Mensch sich mit dem Eingeweihten zusammenfinden, der, nach seinen Einsichten, von der äusseren Sinneswelt so reden muss, als ob aus derselben nicht nur sinnliche Wahrnehmungen sich kundgäben, sondern die Eindrücke von dem, was Menschenseelen im vorirdischen Dasein und in verflossenen Erdenleben gewirkt haben; und der von der inneren Selbst-Welt aussagen muss, dass sie Geistzusammenhänge offenbart, so eindrucks- und wirkungsvoll, wie die Wahrnehmungen der Sinneswelt sind.

Bewusst sollten sich die tätig-sein-wollenden Mitglieder zu Vermittlern dessen machen, was die fragende Menschenseele als Welt- und Menschenrätsel fühlt, mit dem, was die Eingeweihten-Erkenntnis zu sagen hat, wenn sie aus Menschen-Schicksalen eine vergangene Welt heraufholt, und wenn sie aus seelischer Erkraftung die Wahrnehmung einer Geist-Welt erschliesst.

So kann im Arbeiten der tätig-sein-wollenden Mitglieder die Anthroposophische Gesellschaft zu einer echten Vorschule der Eingeweihten-Schule werden. Auf dieses wollte die Weihnachtstagung kräftig hinweisen; und wer diese Tagung richtig versteht, wird mit diesem Hinweisen fortfahren, bis ein genügendes Verständnis dafür der Gesellschaft wieder neue Aufgaben bringen kann.

Aus diesen Hinweisen mögen denn die im folgenden zu gebenden »Leitsätze« erfliessen.

 

Weitere Leitsätze

62. Die Sinneswelt trägt in den Sinneswahrnehmungen nur einen Teil des Wesens an die Oberfläche, das sie in ihren Wellentiefen birgt. Bei eindringlicher geistgemässer Beobachtung zeigt sie, dass in diesen Tiefen die Nachwirkungen dessen sind, was Menschenseelen noch in langvergangenen Zeiten gewirkt haben.

63.Die menschliche Innenwelt offenbart dem gewöhnlichen Selbstbetrachten nur einen Teil dessen, in dem sie darinnen steht. Bei erstarktem Erleben zeigt sie, dass sie in einer geistlebendigen Wirklichkeit steht.

64. In dem Schicksal des Menschen offenbart sich nicht bloss die Wirksamkeit einer Aussenwelt, sondern auch diejenige des eigenen Selbst.

65. In den menschlichen Seelen-Erlebnissen offenbart sich nicht bloss ein Selbst, sondern auch eine Geistwelt, die das Selbst in geistmässiger Erkenntnis mit der eigenen Wesenheit verbunden wissen kann.

 

 

 

XXVII

Laut-Eurhythmie-Kurs.

In der Zeit vom 24. Juni bis zum 12. Juli wurde am Goetheanum ein Kursus über Laut-Eurhythmie abgehalten. Er hatte zum Inhalt eine nochmalige Darstellung von vielem, was bisher auf diesem Gebiete gegeben worden ist und zugleich eine Vertiefung und Erweiterung dieses schon Bekannten. Die eurhythmisierendenKünstler, die am Goetheanum und von da aus an vielen Orten die Eurhythmie als Kunst ausüben, die auf diesem Gebiete Lehrenden, die Lehrkräfte der von Marie Steiner in Stuttgart begründeten und geleiteten Eurhythmie-Schule, die für Eurhythmie tätigen Lehrkräfte der Waldorfschule und der Fortbildungsschule am Goetheanum, Heil-Eurhythmisten, und eine Reihe anderer Persönlichkeiten, die durch ihren Beruf als Künstler oder Wissenschafter auf andern Gebieten für Eurhythmie Interesse haben, nahmen an dem Kursus teil.

Eurhythmie macht ja möglich, das Künstlerische als solches in seiner Wesenheit und seinen Quellen zur Anschauung zu bringen. Darauf wurde bei Abhaltung dieses Kurses besonders gesehen. Als eurhythmischer Künstler kann nur wirken, wer aus innerem Beruf und innerer Begeisterung Kunstsinn schöpferisch entfaltet. Um die in der menschlichen Organisation liegenden Form- und Bewegungsmöglichkeiten zur Offenbarung zu bringen, hat man nötig, dass die Seele ganz von Kunst erfüllt ist. Dieser universelle Charakter des Eurhythmischen lag allen Ausführungen zu Grunde. Wer eurhythmisieren will, muss in das Wesen der Sprachgestaltung eingedrungen sein. Er muss vor allem an die Geheimnisse der Laut-Schöpfung herangekommen sein. In jedem Laute ist ein Ausdruck für ein Seelenerlebnis gegeben. Im vokalischen Laute ein solcher für ein gedankliches, gefühlsmässiges, willensartiges Sich-Offenbaren der Seele, im konsonantischen Laute für die Art, wie die Seele ein äusseres Ding oder einen Vorgang vergegenständlicht. Dieser Aus­druck im Sprachlichen bleibt beim gewöhnlichen Sprechen zum grössten Teile ganz unterbewusst; der Eurhythmist muss ihn auf ganz exakte Art kennenlernen, denn er hat, was im Sprechen hörbar wird, in die ruhende und bewegte Gebärde zu verwandeln. Das innere Gefüge der Sprache wurde deshalb in diesem Kurse blossgelegt. Die Lautbedeutung des Wortes, die der Sinnbedeutung überall zum Grunde liegt, wurde anschaulich gemacht. Von der eurhythmischen Gebärde aus lässt sich manches in dem Gesetzmässigen der Sprache, das gegenwärtig, wo das Sprechen in einer stark abstrakten Seelenverfassung ausgeführt wird, wenig erkannt wird, zur Darstellung bringen. Das ist in diesem Kursus geschehen. Dadurch, so darf gehofft werden, wird er auch Lehrern des Eurhythmischen die ihnen nötigen Richtlinien gegeben haben.

Der Eurhythmist braucht die Hingabe an das Kleinste der Gebärde, damit seine Darstellung wirklich zum selbstverständlichen Ausdruck des Seelischen wird. Er kann die grosse Gebärde nur gestalten, wenn ihm dieses Kleinste erst zum Bewusstsein, dann zur gewohnheits­artigen Aeusserung des seelischen Wesens geworden ist.

Es wurde betrachtet, wie die Gebärdeals solche Seelen-Erlebnis und Geist-Inhalt offenbart, und auch wie diese Offenbarung zum Seelenausdruck sich verhält, der in der Laut-Sprache sich hörbar verwirk­licht. Man kann an der Eurhythmie das Technische der Kunst würdigen lernen; aber gerade auch an ihr tief durchdrungen werden davon, wie das Technische alle Aeusserlichkeit abstreifen und ganz vom See­lischen ergriffen werden muss, wenn wahrhaft Künstlerisches leben soll. In der Kunst auf irgend einem Gebiete tätige Menschen sprechen oft davon, wie die Seele hinter der Technik wirken soll; die Wahrheit ist, dass in der Technik die Seele tätig sein muss.

Ein besonderer Wert wurde in diesen Vorträgen darauf gelegt, zu zeigen, dass der ästhetisch empfindende Mensch in der wahr gestalteten Gebärde das Seelische unmittelbar auf ganz eindeutige Art wahr­nimmt. Es wurden Beispiele vorgeführt, die veranschaulichten, wie ein Inhalt in der Seelenverfassung auf selbstverständliche Art in einer gewissen Gebärdengestaltung gesehen werden kann.

Es wurde auch gezeigt, wie alle Sprachgestaltung, die in Gramma­tik, Syntax, in Sprachrhythmus, in poetischen Tropen und Figuren, in Reim und Strophenbau sich offenbart, die entsprechende Verwirk­lichung auch in dem Eurhythmischen findet.

Die Zuhörer dieses Kurses sollten nicht nur in der Erkenntnis der Eurhythmie gefördert werden, sondern es sollte von ihnen erlebt werden, wie alle Kunst getragen sein muss von Liebe und Begeiste­rung. Der Eurhythmist kann seine Kunstschöpfung nicht von sich ablösen und sie objektiv vor den ästhetisch Geniessenden hinstellen wie der Maler, der Plastiker, sondern er bleibt in seiner Darstellung persönlich darinnen; man sieht an ihm, ob in ihm Kunst wie ein göttlicher Weltinhalt lebt oder nicht. In unmittelbar künstlerische Gegenwart muss am Menschen der Eurhythmist das Künstlerische als anschauliches Wesen hinstellen können. Das erfordert ein besonderes innerlich-intimesVerhältnis zur Kunst. Zum Verständnisse davon wollte dieser Kurs den Teilnehmern verhelfen. Er wollte zeigen, wie in der Seele beim Anschauen der Gebärde das Gefühl, die Emp­findung sich entzündet, und wie dann diese Empfindung zum Er­leben des sichtbaren Wortes führt. Man kann vieles, was im hörbaren Worte nur unvollkommen sich darleben kann, durch die eurhythmische Gebärde zur vollen Offenbarung bringen. Hörbares Wort in Rezita­tion und Deklamation in Verbindung mit dem sichtbaren Worte geben dann einen Total-Ausdruck, der intensivste künstlerische Ge­schlossenheit bewirken kann.

 

Weitere Leitsätze, die für die anthroposophische Gesellschaft ausgegeben werden.

66. Die Wesenheiten der dritten Hierarchie offenbaren sich in dem Leben, das im menschlichen Denken als Geist-Hintergrund zur Entfaltung gelangt. Dieses Leben verbirgt sich in der menschlichen Denktätigkeit. Wirkte esin dieser als Eigensein fort, so könnte der Mensch nicht zur Freiheit gelangen. Wo kosmische Denktätigkeit aufhört, beginnt menschliche Denktätigkeit.

67. Die Wesenheiten der zweiten Hierarchie offenbaren sich in einem aussermenschlichen Seelischen, das dem menschlichen Fühlen als kosmisch-seelisches Geschehen verborgen ist. Dieses Kosmisch-Seelische schafft im Hintergrunde des menschlichen Fühlens. Es gestaltet das Menschlich-Wesenhafte zum Gefühls-Organismus, bevor in diesem selbst das Fühlen leben kann.

68. Die Wesenheiten der ersten Hierarchie offenbaren sich in einem aussermenschlichen Geistschaffen, das dem menschlichen Wollen als kosmisch-geistige Wesenswelt innewohnt. Dieses Kosmisch-Geistige erlebt sich selbst schaffend, indem der Mensch will. Es gestaltet den Zusammenhang des Menschlich-Wesenhaften mit der aussermenschlichen Welt, bevor der Mensch durch seinen Willens-Organismus zum frei wollenden Wesen wird.

 

 

XXVIII

Geistige Weltbereiche und menschliche Selbsterkenntnis. 

Die Leitsätze, die in diesen Wochen vom Goetheanum aus den Mitgliedern der Anthroposophischen Gesellschaft gesandt worden sind, lenken den Seelenblick zu den Wesenheiten der geistigen Reiche hin, mit denen nach oben der Mensch ebenso zusammenhängt wie nach unten hin mit den Naturreichen.

Eine wahre Selbsterkenntnis des Menschen kann die Führerin werden zu diesen geistigen Reichen. Und wenn nach solcher Selbsterkenntnis mit rechtem Sinne gestrebt wird, so wird sich in ihr das Verständnis für dasjenige erschliessen, was die Anthroposophie aus dem Einblick in das Leben der geistigen Welt an Erkenntnissen vermittelt. Man muss nur die Selbsterkenntnis im wirklichen Sinne, nicht in dem eines blossen Hineinstarrens in das »Innere« üben.

Bei einer solchen wirklichen Selbst-Erkenntnis findet man zunächst, was in der Erinnerung lebt. In Gedanken-Bildern ruft man die Schatten dessen in das Bewusstsein herauf, in dem man in vergangener Zeit mit unmittelbarem lebendigem Erfahren darinnengestanden hat. Wer einen Schatten sieht, wird aus einem inneren Drang heraus im Denken nach dem Gegenstande hingelenkt, der den Schatten wirft. Wer eine Erinnerung in sich trägt, kann in solch unmittelbarer Art nicht den Seelenblick nach dem Erlebnisse hinlenken, das in der Erinnerung nachwirkt. Wenn er sich aber wirklich auf sein eigenes Sein besinnt, so wird er sich sagen müssen: er selbst sei, seiner seelischen Wesenheit nach, dasjenige, was die Erlebnisse aus ihm gemacht haben, die in der Erinnerung ihre Schatten werfen. Im Bewusstsein treten die Erinnerungs-Schatten auf, im Seelensein leuchtet, was in der Erinnerung schattet. Toter Schatten west in der Erinnerung; lebendiges Sein west in der Seele, in der die Erinnerung wirkt.

Man muss sich dieses Verhältnis der Erinnerung zum wirklichen Seelenleben nur klarmachen; und man wird in diesem Streben nach Klarheit im Selbst-Erkennen empfinden, wie man auf dem Wege nach der geistigen Welt ist.

Durch die Erinnerung sieht man auf das Geistige der eigenen Seele. Für das gewöhnliche Bewusstsein kommt dieses Sehen nicht zu einem wirklichen Ergreifen dessen, wonach der Blick gerichtet ist. Man schaut nach etwas hin; aber der Blick begegnet keiner Wirklichkeit. Anthroposophie weist aus der imaginativen Erkenntnis auf diese Wirklichkeit hin. Sie verweist von dem Schattenden auf das Leuchtende. Sie tut dies, indem sie von dem Aetherleibe des Menschen spricht. Sie zeigt, wie in den Gedanken-Schatten-Bildern der physische Leib wirkt; wie aber in dem Leuchtenden der Aetherleib lebt.

Mit dem physischen Leibe ist der Mensch in der sinnlichen Welt; mit dem Aetherleibe ist er in der Aetherwelt. In der sinnlichen Welt hat er eine Umgebung; er hat eine solche auch in der Aetherwelt .Die Anthroposophie spricht von dieser Umgebung als von der ersten verborgenen Welt, in der sich der Mensch befindet. Es ist das Reich der dritten Hierarchie.

Man nähere sich nun in derselben Art, wie man so an die Erinnerung herangetreten ist, der Sprache. Sie quillt aus dem Inneren des Menschen hervor wie die Erinnerung. In ihr verbindet sich der Mensch mit einem Sein, wie er sich in der Erinnerung mit seinen eigenen Erlebnissen verbindet. Im Worte lebt auch ein Schattendes. Dieses ist kräftiger als das Schattende der Erinnerungs-Gedanken. Indem der Mensch seine Erlebnisse in der Erinnerung innerlich abschattet, ist er mit seinem eigenen verborgenen Selbst bei dem ganzen Vorgange selbst wirksam. Er ist dabei, indem das Leuchtende den Schatten wirft.

In der Sprache ist auch ein Schattenwerfen. Worte sind Schatten. Was leuchtet da? Kräftigeres leuchtet, weil Worte kräftigere Schatten sind als Erinnerungs-Gedanken. Was im menschlichen Selbst Erinnerungen im Laufe eines Erdenlebens schaffen kann, kann nicht die Worte schaffen. Sie muss der Mensch im Zusammenhange mit andern Menschen lernen. Ein tiefer in ihm liegendes Wesen als das in der Erinnerung Schattende muss sich daran beteiligen. Anthroposophie spricht da aus der inspirierten Erkenntnis heraus vom Astralleib, wie sie der Erinnerung gegenüber vom Aetherleib spricht. Zu dem physischen und Aetherleib tritt der Astralleib als ein drittes Glied der menschlichen Wesenheit.

Aber auch dieses dritte Glied hat eine Welt-Umgebung. Es ist diejenige der zweiten Hierarchie. In der menschlichen Sprache ist ein Schattenbild dieser zweiten Hierarchie gegeben. Der Mensch lebt innerhalb des Bereiches dieser Hierarchie mit seinem Astralleibe.

Man kann weiter gehen. An dem Sprechen ist der Mensch mit einem Teile seines Wesens beteiligt. Er bringt im Sprechen sein Inneres in Bewegung. Wovon dieses Innere umschlossen wird, das bleibt im Sprechen selbst in Ruhe. Die Bewegung des Sprechens entringt sich diesem ruhig bleibenden Menschenwesen. Aber der ganze Mensch kommt in Bewegung, wenn er in Regsamkeit bringt, was Gliedmassen-artig an ihm ist. In dieser Bewegung ist der Mensch nicht minder ausdrucksvoll wie in der Erinnerung und in der Sprache. Die Erinnerung drückt die Erlebnisse aus; die Sprache hat ihr Wesen eben darinnen, dass sie Ausdruck von etwas ist. So auch drückt der in seinem ganzen Wesen bewegte Mensch ein »Etwas« aus.

Was so ausgedrückt wird, weist die Anthroposophie als ein weiteres Glied der menschlichen Wesenheit auf. Sie spricht aus der intuitiven Erkenntnis heraus von dem »wahren Selbst« oder dem »Ich«. Auch für dieses findet sie eine Welt-Umgebung. Es ist diejenige der ersten Hierarchie.

Indem der Mensch an seine Erinnerungs-Gedanken herantritt, begegnet ihm ein erstes Uebersinnliches, sein eigenes Aetherwesen. Anthroposophie weist ihm die entsprechende Welt-Umgebung auf. Indem sich der Mensch als Sprechenden erfasst, begegnet ihm sein Astralwesen. Das wird nicht mehr in dem erfasst, was nur innerlich wie die Erinnerung wirkt. Es wird von der Inspiration geschaut als dasjenige, was in dem Sprechen aus dem Geistigen heraus einen physischen Vorgang gestaltet. Sprechen ist ein physischer Vorgang. Ihm liegt das Schaffen aus dem Bereiche der zweiten Hierarchie zugrunde.

In dem ganzen bewegten Menschen ist ein intensiveres physisches Wirken vorhanden als im Sprechen. Nicht etwas am Menschen wird gestaltet; der ganze Mensch wird gestaltet. Da wirkt die erste Hierarchie in dem in Gestaltung webenden Physischen.

So kann wirkliche Selbst-Erkenntnis des Menschenwesens geübt werden. Aber der Mensch erfasst dabei nicht das eigene Selbst allein. Stufenweise erfasst er seine Glieder: den physischen Leib, den Aetherleib, den Astralleib, das Selbst. Aber indem er diese erfasst, kommt er auch stufenweise an höhere Welten heran, die wie die drei Naturreiche, das tierische, das pflanzliche, das mineralische, als drei geistige Reiche zu der Gesamtwelt gehören, in der sich sein Wesen entfaltet.

 

Weitere Leitsätze, die vom Goetheanum ausgegeben werden.

69. Die dritte Hierarchie offenbart sich als ein rein Geistig-Seelisches. Sie webt in dem, was der Mensch auf seelische Art ganz innerlich erlebt. Weder im Aetherischen, noch im Physischen könnten Vorgänge entstehen, wenn nur diese Hierarchie wirkte. Seelisches könnte allein da sein.

70. Die zweite Hierarchie offenbart sich als ein Geistig-Seelisches, das im Aetherischen wirkt. Alles Aetherische ist Offenbarung der zweiten Hierarchie. Sie offenbart sich aber nicht unmittelbar im Physischen. Ihre Stärke reicht nur bis zu den ätherischen Vorgängen. Es würde nur Seelisches und Aetherisches bestehen, wenn nur dritte und zweite Hierarchie wirkten.

71. Die stärkste, erste Hierarchie offenbart sich als das im Physischen geistig Wirksame. Sie gestaltet die physische Welt zum Kosmos. Die dritte und zweite Hierarchie sind dabei die dienenden Wesenheiten.

   

bottom of page