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XXXIV

Aphorismen aus einem am 24. August in London

gehaltenen Mitgliedervortrag.

Das menschliche Bewusstsein entwickelt im gegenwärtigen Weltstadium seiner Entwicklung drei Formen, das wachende, das träumende und das traumlos schlafende Bewusstsein.

Das wachende erlebt die sinnenfällige Aussenwelt, bildet über diese Ideen und kann aus diesen Ideen heraus solche gestalten, welche eine rein geistige Welt abbilden. Das träumende Bewusstsein entwickelt Bilder, welche die Aussenwelt umformen, z. B. an die in das Bett scheinende Sonne das Traumerlebnis einer Feuersbrunst mit vielen Einzelheiten knüpfen. Oder es stellt die menschliche Innenwelt in symbolischen Bildern vor die Seele, z. B. das stark pochende Herz im Bild eines überheizten Ofens. Auch die Erinnerungen leben umgestaltet im Traumbewusstsein auf. Dazu kommen Inhalte solcher Bilder, die nicht der Sinneswelt entnommen sind, sondern der geistigen, die aber nicht die Möglichkeit bieten, in die geistige Welt erkennend einzudringen, weil ihr Dämmersein nicht ganz in das Wachbewusstsein sich heben lässt, und weil, was in dieses herüberspielt, nicht wahrhaft ergriffen werden kann.

Es ist aber möglich, von der Traumwelt unmittelbar im Erwachen so viel zu erfassen, dass man gewahr wird, wie sie der unvollkommene Abdruck eines geistigen Erlebens ist, das den Schlaf erfüllt, aber dem Wachbewusstsein sich zum weitaus grössten Teile entzieht. Es ist nur nötig, um das zu durchschauen, den Augenblick des Erwachens so zu gestalten, dass dieses nicht mit einem Schlage die Aussenwelt vor die Seele zaubert, sondern dass die Seele, ohne noch nach aussen zu schauen, sich dem innen Erlebten hingegeben fühlt.

Das traumlose Schlafbewusstsein lässt die Seele Erlebnisse durchmachen, die in der Erinnerung nur als unterschiedsloses Einerlei der Zeit-Erfüllung erscheinen. Man wird von diesen Erlebnissen so lange als von etwas gar nicht Vorhandenem sprechen können, so lange man nicht durch geisteswissenschaftliche Forschung in sie eindringt. Geschieht dies aber, entwickelt man auf die in der anthroposophischen Literatur gegebene Art das imaginierte und inspirierte Bewusstsein, dann treten aus der Finsternis des Schlafes die Bilder und die Inspirationen von Erlebnissen früheren Erdendaseins hervor. Und dann kann man auch den Inhalt des Traumbewusstseins überschauen. Er besteht in einem vom Wachbewusstsein nicht zu ergreifenden Inhalt, der in diejenige Welt verweist, in welcher der Mensch zwischen zwei Erdenleben als unverkörperte Seele verweilt.

Lernt man kennen, was für die gegenwärtige Weltenphase das Traum- und das Schlafbewusstsein verbergen, dann wird der Weg eröffnet auf die Entwicklungsformendes menschlichen Bewusstseins in der Vorwelt. Man kann dazu allerdings nicht durch die äussere Forschung gelangen. Denn die erhaltenen äusseren Zeugnisse bringen nur Nachwirkungen von vorgeschichtlichen Erlebnissen des menschlichen Bewusstseins. Die anthroposophische Literatur bringt Aufschlüsse darüber, wie man durch geistige Forschung zur Anschauung von solchen Erlebnissen gelangen kann.

In der alten Zeit Aegyptens findet diese Forschung ein Traumbewusstsein, das dem Wachbewusstsein viel näher steht, als das jetzt beim Menschen der Fall ist. Die Traumerlebnisse strahlten erinnerungsgemäss in das Wachbewusstsein herüber; und dieses lieferte nicht bloss die in scharf konturierte Gedanken zu fassenden Sinneseindrücke, sondern verbunden mit diesen das Geistige, das in der Sinneswelt wirkt. Dadurch stand der Mensch mit seinem Bewusstsein instinktiv in der Welt darinnen, die er bei seiner Erdenverkörperung verlassen hat, und die er wieder betreten wird, wenn er durch die Todespforte geschritten sein wird.

Die erhaltenen Schriftdenkmäler und anderes geben dem, der unbefangen in ihren Inhalt eindringt, deutliche Nachbilder eines solchen Bewusstseins, das einer Zeit angehört, aus der äussere Denkmäler nicht vorhanden sind.

Das Schlafbewusstsein der ägyptischen Urzeit enthielt Träume der geistigen Welt in einer ähnlichen Art wie das gegenwärtige Träume aus der physischen Welt enthält.

Bei andern Völkern findet man aber noch ein anderes Bewusstsein. Der Schlaf strahlte seine Erlebnisse in das Wachen herüber und zwar so, dass in diesem Herüberstrahlen eine Anschauung der wiederholten Erdenleben instinktiv vorhanden war. Die Traditionen von der Erkenntnis der wiederholten Erdenleben durch die Urmenschen entstammen diesen Bewusstseins-Formen.

Man findet, was in alten Zeiten an Traumbewusstsein dämmerhaft instinktiv vorhanden war, in der entwickelten imaginativen Erkenntnis wieder. Nur ist es bei dieser vollbewusst wie das Wachleben.

Und man wird durch die inspirierte Erkenntnis ebenso die vorzeitliche instinktive Einsicht gewahr, die noch etwas von den wiederholten Erdenleben sah. Aufdiese Verwandlung der menschlichen Bewusstseinsformen geht dieheutige Menschheitsgeschichte nicht ein. Die möchte gerne glauben, dass im Wesentlichen die gegenwärtigen Bewusstseinsformen immer vorhanden waren, solange es eine Erdenmenschheit gibt.

Und was doch auf solche andere Bewusstseinsformen hinweist, die Mythen und Märchen, möchte man als den Ausfluss der dichtenden Phantasie des Urmenschen ansehen.

 

Weitere, vom Goetheanum ausgegebene Leitsätze.

88. Im wachen Tagesbewusstsein erlebt sich im gegenwärtigen Weltenalter der Mensch als innerhalb der physischen Welt stehend. Dieses Erleben verbirgt ihm, dass innerhalb seiner eigenen Wesenheit die Wirkungen eines Lebens zwischen Tod und Geburt vorhanden sind.

89. Im Traumbewusstsein erlebt der Mensch in chaotischer Art das eigene Wesen mit dem Geisteswesen der Welt unharmonisch vereint. Das Wachbewusstsein kann den eigentlichen Inhalt dieses Traumbewusstseins nicht ergreifen. Es enthüllt sich dem imaginativen und inspirierten Bewusstsein, dass die Geistwelt, die der Mensch zwischen Tod und Geburt durchlebt, an dem Aufbau seines Innenwesens beteiligt ist.

90. Im traumlosen Schlafbewusstsein erlebt der Mensch ohne eigene Bewusstheit das eigene Wesen als durchdrungen mit den Ergebnissen vergangener Erdenleben. Das inspirierte und intuitive Bewusstsein dringt zur Anschauung dieser Ergebnisse vor und sieht das Wirken voriger Erdenleben in dem Schicksalsverlauf (Karma) des gegenwärtigen.

 

 

 

XXXV

Aus dem Kursus über Sprachgestaltung und

dramatische Kunst am Goetheanum.

Unter den Kursen, die in der ersten Septemberhälfte am Goetheanum abgehalten werden, ist ein solcher über »Sprachgestaltung und drama­tische Kunst«. Er möchte einer Sehnsucht, die bei vielen heute ganz aus­gesprochen vorhanden ist, entgegenkommen: der, aus dem stillosen Naturalismus der Bühnenkunst wieder zu einem Stil zu kommen.

Man wird das nur können, wenn man zu allererst gewahr wird, wie der Seelengehalt des Menschen, im Worte lebend gestaltet, sich offenbart. Das moderne Bewusstsein lebt dem Sprechen gegenüber ganz in der Ideenempfindung, es hat die Laut- und Wortempfindung fast ver­loren. Aber in der Ideen-Empfindung geht auch die sinnlich-wahrnehm­bare Geistigkeit verloren, die das Wesen aller Kunst ist.

In der Bühnenkunst muss das am meisten empfunden werden. Denn sie bedarf des Mimischen, der Geberde, der Geste, wenn sie das Wort zur rechten Geltung bringen soll. Geberde und Geste binden sich im unmittelbaren Erleben nicht mit genügender Stärke an die Ideen-Emp­findung, sondern an die Laut- und Wort-Empfindung.

Im Intonieren des Lautes A offenbart die Seele ursprünglich immer das Erlebnis der Bewunderung von etwas, des Erstaunens an etwas. In dem Laute O lebt die Empfindung des seelischen Umfassens von etwas. Lebt man sich in dieser Art in die Sprache ein, so wird man in der Voka­lisierung das innere Seelen-Erleben an der Aussenwelt, in der Konso­nantisierung das Streben der Seele finden, in der Lautgestaltung ein hörbares Bild eines Gegenstandes oder Vorganges der Aussenwelt nach­ahmend zu formen.

Und dadurch kommt man zu dem Erlebnis des Wortes.

In dem B bestrebt sich die Seele die Umfassung eines Gegenstande, in dem R das innere Erregtsein, Erzittern in einem Vorgang nachzu­ahmen.

In dem Gefüge von Vokalen und Konsonanten lebt die Seele in der Aussenwelt mit ihrem Leben; und es leben die Gestalten und Vorgänge der Aussenwelt im Bilde in der Seele.

In jedem Wort, in dem der A-Vokal enthalten ist, lebt etwas davon, dass die Seele über das Bezeichnete in Verwunderung oder Erstaunen ist. Das ist zumeist ganz verblasst für das gewöhnliche Bewusstsein. Aber in den unterbewussten, oder auch halbbewussten Erlebnissen der Menschenseele stellt es die Beziehungen dar, die die Menschenseele zum Worte hat.

Wer durch das Wort künstlerisch offenbaren will, der muss diese Be­ziehungen in sich lebendig machen. Seine Seele muss sich in das Wort hineinleben; dann nur kann das Wort künstlerisch von ihm gestaltet werden.

Ein Dialog stellt dar, was zwei Menschen aneinander erleben. Die Seelen sind in Wechselwirkung. Während der eine spricht, hört der andere zu. Nun beginnt dieser zu sprechen. In seinem Worte muss nachklingen, was der Erste im Sprechen erlebt hat. Dieser hört jetzt dem Zweiten zu. In seinem stummen Zuhören muss für die dramatische Dar­stellung anschaulich werden, ob der Zweite ihn befriedigt, enttäuscht, bestürzt, besorgt usw. Denn Kunst muss alles, was in ihr leben soll, auch zur Anschauung bringen.Das Verhalten der Unterredner im Dialog ergibt sich, wenn ein jeder seine Seele mit der Laut- und Wortempfindung verbunden hat. Dem Darsteller wird durch diese Verbindung die Haltung, die er einzuneh­men hat, zu einer Fähigkeit des Instinktes.

Die Vorbereitung für die bühnenmässige Darstellung soll die Schu­lung für Laut- und Wortempfindung in sich schliessen.

Die Ideen-Empfindung kann keine kunstgemässe Schulung geben. Denn sie wendet sich zu stark an den Intellekt. Dieser aber zerstört das Künstlerische. Er lässt das Anschauliche in die Unanschaubarkeit des inneren Seelenlebens verschwinden. Was auf der Bühne vorgeht, muss aber in der Wahrnehmbarkeit des Gehörten und in derjenigen des Ge­sehenen leben; es darf keinen Anspruch erheben, von dem Intellekt des Zuhörers und Zuschauers nachkonstruiert zu werden.

Es war richtig von Aristoteles gedacht und richtig von Lessing nach­empfunden, dass die tragische Handlung in Furcht und Mitleid des Zuschauers nachschwingen muss. Diese Gefühle werden aber durch den Darsteller nur dann wachgehalten werden können, wenn er bis in die Sprachgestaltung hinein sein Seelenleben tragen kann.

Das Leben im Sprechen kann nur am Erleben der Sprache herangezogen werden. Man wird heute naturgemäss nicht immer Worte mit dem U-Laut zu sprechen haben, wenn man Furcht-Getragenes zu sagen hat. Denn die Sprachen sind nicht mehr ursprünglich. Aber der U-Laut ist die Offenbarung des Furcht-Erlebnisses der Seele. Hat man zu sagen: »Es naht Gefahr«, so ist darin nicht der U-Laut. Aber die Intonierung, die man den Worten in diesem Falle zu geben hat, kann an der Empfin­dung, die sich am U-Laut erleben lässt, herangezogen werden.Es ist das Geheimnis der Sprache dass in jedem Laute andere unhörbar in der Seele mitklingen. Spreche ich A in einem Worte, das furchtgetragen ist, so klingt in den Tiefen der Seele der U-Laut mit. Der im gewöhnlichen Leben Sprechende hat damit selbstverständlich nichts zu tun. Er steht in der Situation des unmittelbaren Erlebens darinnen. Er ist mit dem Gefühle diesem Erleben nahe. Er spricht aus der erlebten Furcht die Worte: »Es naht Gefahr«. Der Bühnenkünstler steht nicht in der unmittelbaren Lebenssituation darinnen. Er muss instinktiv die Lautempfindung in sich tragen, die in dem Aussprechen eines Furcht-­Erregenden stumm mitschwingt. Diese Laut-Empfindung kann ihm das Kolorit der Intonierung geben

Im Dialog wird eine solche Laut-Empfindung die Möglichkeit ge­währen, dem Unterredner so zu antworten, dass der Zuschauer wahrnehmbar das Wechselverhältnis der dialogisierenden Seelen vor sich hat. Wenn im Dialog der eine der Unterredenden zuhört, während der andere spricht, wird in ihm die entsprechende Lautempfindung anklin­gen, und aus dieser heraus wird er seiner Erwiderung die rechte Intonie­rung geben. Eine Farbe nimmt sich im Anschauen immer etwas anders aus, ob sie neben blau, oder neben gelb ist. Ein Satz mit was immer für Vokalen tönt anders, je nachdem in ihm der furchtgeborene U-Laut noch nachschwingt, oder der freudegetragene I-Laut.

Marie Steiner und ich besorgen den Kursus gemeinsam.

Weitere Leitsätze, die für die Anthroposophische Gesellschaft vom Goetheanum ausgegeben werden.

91. Der Wille tritt in das gewöhnliche Bewusstsein im heutigen Weltalter nur durch den Gedanken ein. Dieses gewöhnliche Bewusstsein kann aber nur an das sinnlich Wahrnehmbare anknüpfen. Es ergreift auch an dem eigenen Willen nur das, was von diesem in die sinnliche Wahrnehmungswelt eintritt. Der Mensch weiss in diesem Bewusstsein von seinen Willensimpulsen nur durch die vorstellende Beobachtung seiner selbst, wie er von der Aussenwelt nur durch Beobachtung weiss.

92. Das Karma, das im Willen wirkt, ist eine ihm aus vorangegangenen Erdenleben anhaftende Eigenschaft. Diese kann daher nicht durch die Vorstellungen des gewöhnlichen Sinnesseins, die nur auf das gegenwärtige Erdenleben hin orientiert sind, erfasst werden.

93. Weil diese Vorstellungen das Karma nicht erfassen können, verweisen sie das ihnen an den menschlichen Willensimpulsen entgegentretende Unverständliche in das mystische Dunkel der Körperkonstitution, während es die Wirkung vorangegangener Erdenleben ist.

 

 

 

XXXVI

Weiteres über den Kursus »Sprachgestaltung und dramatische Darstellungskunst« am Goetheanum.

In der Bühnenkunst muss das innere Leben der Sprache wieder er­wachen. Denn es ist in der Sprache ein Teil der menschlichen Wesenheit enthalten.

Man findet diesen Teil, wenn man eine Anschauung sucht von dem Verhältnis des Mimischen, des Geberdehaften zum Worte. In der Ge­berde lebt eine vom Gefühl durchdrungene Willensoffenbarung des Menschen. Das Seelisch-Geistige ist also Bild in der Geberde vorhanden. Insoferne das Seelisch-Geistige das Gefühl in die Bildhaftigkeit der Geberde ausströmen lässt, offenbart sich die Menschenwesenheit in der Kraft des Willens nach aussen. Man hat es da mit einem Sichtbarwerden der menschlichen Wesenheit so zu tun, dass das Innere nach aussen ge­tragen wird.

Aber der Mensch kann seine eigene Geberde, sein eigenes Mimisches empfinden, vorstellen, wie er Dinge und Vorgänge der Aussenwelt vorstellt. Es liegt in dem Vorstellen der Geberde dann eine Art Erfüllung des Bewusstseins mit der inneren menschlichen Wesenheit vor.

Die menschliche Organisation bringt im gewöhnlichen Leben diese Uebertragung der willengetragenen Geberde in die Vorstellung nicht zu Ende. Sie hält sie auf halbem Wege auf. Und da, wo sie sie aufhält, entsteht die Sprache. In dem Worte ist Mimisches und Geberdenhaftes verkörpert. Das Wort ist selbst eine Geberde in anderer Form.

Wer die Lautempfindung von der in der vorigen Nummer hier ge­sprochen worden ist, entwickelt, für den wird wahrnehmbar, wie die Geberde in den Laut hineinschlüpft; und er kann im Sprechen ein in das Seelenhafte verfeinertes Erleben der Geberde haben.

Will man das Sprechen zur künstlerischen Gestaltung bringen, dann muss man in dieser Art den Wortcharakter mit dem Erlebnis des Mimisch-Geberdehaften in sich tragen können.

Und nur dadurch, dass das Wort mit dem Kolorit dieses Erlebens sich der Kehle des Menschen entringt, kann es zum Bühnen-Wort wer­den.

Im Bühnen-Worte muss lautlich der bewegte Mensch zur Offenbarung kommen. Dann nur wird eine anschauliche Verbindung der Geberde, des Mimischen mit dem Gesprochenen vor dem Auge und Ohr des Zu­schauers stehen. Und das Drama wird durch Worte und Geste des Schauspielers fliessen können.

Was im menschlichen Organismus beim gewöhnlichen Sprechen in den tief verborgenen Regionen des Unbewussten vor sich geht: die Um­wandlung der Miene und Geberde in die Intonierung des Lautes, das muss in künstlerischer Empfindung der Schauspieler vor das phantasievolle Bewusstsein bringen, damit in ihm phantasie-bewusste Gestaltung des Wortes wird, was die menschliche Wesenheit im Sprechen sonst ganz unbewusst tut, ja in den vorgerückteren Sprachen in die Farblosigkeit der Wortgestaltung hinein ganz verloren hat.

Bei der Schulung des Schauspielers muss daher von der Verkörperung des seelischen Erlebnisses zunächst in Mimik und Geberde ausgegangen werden. Es wird das mit einiger Vollkommenheit nur möglich sein, wenn der angehende Schauspieler an der Seite eines Rezitators, der das Sprechen besorgt, zuerst die Rolle im mimischen und geberdehaften Ausdruck übt, und dann zu diesem »stummen«, aber »beredten« Spiel die Tingierung mit dem Worte hinzufügt.

Dann wird die Seele, die in willensmässiger Art sich der Bewegungs-offenbarung anvertraut, auch auf den Wellen der Worte leben können. Denn im Erregen der Gebärde wird die Seele erlebt; und in dem aus der Geberde geborenen Worte wird dieses Erlebnis in die halbruhige Ge­staltung des Lautlichen gebracht.

Lebt sich der Schauspieler in diesem Zusammenhang von Laut und Geberdenbewegung ein, so wird die Wortgestaltung in ihm künstle­rischer, phantasiegetragener Instinkt. Es muss dieses Instinktive in das Erleben hineinkommen, sonst erscheint die Darstellung als gemacht. Sie muss aber, um Kunst zu sein, als etwas völlig selbstverständlich Ge­borenes erscheinen.

Man wird den Willen zu einer solchen Erfassung der Bühnenkunst nur aufbringen, wenn man von einer geistgemässen Anschauung der menschlichen Wesenheit ausgehen kann. Denn eine solche wird in dem bewegtsprechenden Menschen das Weben des Geistig-Seelischen erken­nen; und dieses kann dann für die Bühnendarstellung die rechte Grundstimmung abgeben. Menschen-Erkenntnis, Verwandlung der Menschen-Erkenntnis in praktische Gestaltung des Lautlich-Geberdehaften: das ist die Grundlage der Bühnenkunst. Was innerlich mit dem ganzen Menschen erlebt wird, das sich Anvertrauen dem lautbegleiteten Gestus, dem geberdebegleiteten Worte: das ist Schauspielkunst.

In dem jetzt am Goetheanum abgehaltenen Kursus über Sprachge­staltung und dramatische Kunst bildet das eben Ausgesprochene einen Teil dessen, was als Anregung gegeben werden möchte. Das Künstle­rische der Bühne möchten wir anregen. Marie Steiner hat seit vielen Jahren die Rezitations- und Deklamationskunst so ausgebildet, dass in ihr das Künstlerische der Sprachgestaltung zum anschaulichen Erlebnis erhoben wird. Dass nach dieser Seite hin das anthroposophische Wirken sich entfalten kann, ist ihr Verdienst. Sie hat denn auch diesen Kursus angeregt, und wirkt in demselben durch ihre Rezitationskunst mit. Es haben sich unter ihrer Anregung eine grössere Zahl von Bühnenkünst­lern hier am Goetheanum eingefunden, die unter ihrer Führung in die dramatische Kunst das aufnehmen möchten, was Anthroposophie geben kann.

 

Weitere Leitsätze, die vom Goetheanum ausgegeben werden.

94. Mit dem gewöhnlichen Vorstellungsleben, das durch die Sinne vermittelt wird, steht der Mensch in der physischen Welt. Um diese in sein Bewusstsein aufzunehmen, muss das Karma im Vorstellungsleben schweigen. Der Mensch vergisst gewissermassen als Vorstellender sein Karma.

95. In den Willensoffenbarungen wirkt das Karma. Aber die Wirkung bleibt im Unbewussten. Durch das Erheben dessen, was im Willen unbewusst wirkt, zur Imagination, wird das Karma ergriffen. Man fühlt in sich sein Schicksal.

96. Tritt Inspiration und Intuition in die Imagination ein, dann wird im Willenswirken ausser den Impulsen der Gegenwart das Ergebnis voriger Erdenleben wahrnehmbar. Das vergangene Leben erweist sich in dem gegenwärtigen als wirksam.

 

XXXVII

Weiteres über den Kursus »Sprachgestaltung und

dramatische Darstellungskunst« am Goetheanum:

Das Bühnenbild und die Regiekunst.

Die Ausführungen, die bisher ‒ in den beiden letzten Betrachtungen‒ aus dem »Kursus für Sprachgestaltung und dramatische Darstellungskunst« heraus hier gegeben worden ist, sollten zeigen, wie die Schauspielkunst von der Seite der Sprache her den Weg zum Stil findet.

Für die Gestaltung der Dichtung auf der Bühne bedarf die Regiekunst des Einlebens in die Welt der Farbe. Das kommt für die Kostü­mierung der Personen ebenso in Betracht wie für das dekorative Büh­nenelement. Denn für den Zuschauer muss das, was er als Wort hört, als Geste sieht, mit der Gewandung des Schauspielers und mit dem plastisch-malerischen Bühnenbild zu einem Ganzen sich verweben.

Da kommt es auf die Möglichkeit an, in der Farbentönung Stil zu entfalten. Deshalb muss die Bühnenkunst sowie die Malerei jenen Uebergang verstehen, der von dem Anschauen (Wahrnehmen) der Farbe an den Dingen und Vorgängen der Aussenwelt zu dem Erleben des Inneren der Farbe führt.

Eine tragische Stimmung in einem rötlich oder gelblich gehaltenen Bühnenbild ist unmöglich. Eine heitere Seelenverfassung auf blauem oder dunkelviolettem Hintergrund ebenso.

In der Farbe lebt das Gefühl auf räumliche Art. Wie der Anblick des Roten eine heitere Grundstimmung der Seele, des Blauen eine ernste, des Violetten eine feierliche auslöst, so fordert das liebend-hingebende Verhalten einer Person zu einer andern die räumliche Verkörperung in der rötlich gehaltenen Tö­nung der dekorativen Umgebung. Das verehrend-andächtige Erleben einer Person fordert für beides eine bläulich gehaltene Tönung.

Ein ähnliches gilt für den zeitlichen Ablauf der dramatischen Hand­lung. Geht diese von dem allgemeinen Interesse, das man im Anfange an Charakteren und Handlung nimmt, zu tragischen Katastrophen über, so entspricht dem ein Uebergang in der Tönung von den hellen gelblich-roten, gelblich-grünen Farben zu den grünlich-blauen und blau-violetten. ‒ Der Fortgang in der Stimmung zu einem heiter-befriedigenden Lustspielende fordert den Uebergang in der Farbentönung vom grünlichen zum gelbroten oder rötlichen.

Doch damit ist nur Ein Gesichtspunkt angedeutet. Zu diesem kommt der andere, dass in dem Nebeneinanderstehen der Charaktere diese in der Farbentönung sich offenbaren.

Man wird einen zornmütigen Menschen nicht in blauer Gewandung auftreten lassen, sondern in einer solchen mit heller Farbentönung, wenn man es mit einer tragischen Grundstimmung zu tun hat. Man kann aber einen zornmütigen Menschen, wenn die Dichtung es fordert, auch im ernst-feierlichen Blau erscheinen lassen. Er wird dann humo­ristisch wirken.

Ein freudig erregter Mensch auf einem blauen Hintergrunde, ein traurig gestimmter auf einem gelben wirken so, wie wenn sie in ihrer Umgebung nicht am rechten Platze wären; man lächelt über den ersteren und bemitleidet den zweiten.

Diese feinen Wirkungen spielen sich zwischen Bühne und Zuschauern ab. Ihre künstlerisch-phantasievolle Erkenntnis gehört zu dem, was die Regiekunst ausmacht.

In der Licht- und Farbentönung dessen, was gleichzeitig auf der Bühne erscheint, kombiniert und harmonisiert mit derjenigen, die sich auf das in der Zeit Verlaufende bezieht, wird sich der ganze Fortgang der dramatischen Handlung von einer Seite aus offenbaren lassen.

Man wird bei einer richtigen Auffassung der Sache gegenüber dem Angedeuteten nicht den Vorwurf erheben, dass die Künste hier in un­gehöriger Art miteinander vermischt werden sollen. Denn in der prak­tischen Ausführung der Sache wird man finden, dass der Regisseur ein ganz anderes Einleben in die Farbe braucht als der Maler. Das beruht darauf, dass der Maler seine Gestaltungen aus der Farbe heraus geboren werden lässt, während die Regiekunst Charakter und Handlung in das leuchtend-farbige Bühnenbild hineinstrahlen lässt. Ein Maler, der das letztere tut, wird dekorativ im üblen Sinne; ein Regisseur, der in ersterem sich ergehen würde, ertötete das Leben auf der Bühne.

Bei einer Darstellung im Freien, bei der man mit der Ausstrahlung im Farbigen nicht rechnen kann, wird man eine viel koloriertere Sprach­gestaltung und eine dem Innen-Erleben der Personen deutlicher ent­sprechende Gewandung brauchen, als in dem künstlich hergestellten geschlossenen Bühnenbilde. Das kommt aber nicht in Betracht, wenn es sich um die Darstellung der freien Natur im geschlossenen Bühnenbilde handelt. Da gilt durchaus, was in bezug auf die Farbentönung hier ge­sagt worden ist.

So wird man für das Bühnenbild nach Stilisierung von Licht und Farbe streben. Dagegen wird die Stilisierung des Linienhaften, Formhaften, Plastischen gemacht, maniriert erscheinen. Ein stilisierter Wald, eine stilisierte Architektur sind etwas Karikaturenhaftes. Da wird der Uebergang zur realistischen Darstellung notwendig sein. Da setzt sich, was sich im Drama aus der Natur im übrigen heraushebt, in diese hinein wieder fort.

Wenn die rechte Sprachgestaltung durch die rechte Geste innerhalb des rechten Bühnenbildes sich offenbart, dann wird der Geist, der im Drama lebt, als Seele sich von der Bühne herab kundgeben. Und in einem solchen Kundgeben ist nur allein das Künstlerische möglich.

Der Naturalismus entsteht nur aus der Ohnmacht gegenüber dem künstlerischen Gestalten. Er tritt auf, wenn der Stil den Geist verloren hat und zur Manier ausgeartet ist; er wird aber auch mit dem Geiste wieder gefunden.

 

Weitere Leitsätze, die vom Goetheanum ausgegeben werden.

97. Eine gröbere Darstellung darf sagen: in der Seele des Menschen leben Denken, Fühlen und Wollen. Eine feinere muss sagen: Denken enthält immer einen Untergrund von Fühlen und Wollen, Fühlen einen solchen von Denken und Wollen, Wollen einen von Denken und Fühlen. Im Gedankenleben ist nur das Denken, im Gefühlsleben das Fühlen, im Willensleben das Wollen gegenüber den anderen Seeleninhalten vorherrschend.

98. Das Fühlen und Wollen des Gedankenlebens enthalten das karmische Ergebnis voriger Erdenleben. Das Denken und Wollen des Gefühlslebens bestimmen auf karmische Art den Charakter. Das Denken und Fühlen des Willenslebens reissen das gegenwärtige Erdenleben aus dem karmischen Zusammenhange heraus.

99. Im Fühlen und Wollen des Denkens lebt der Mensch sein Karma der Vergangenheit aus; im Denken und Fühlen des Wollens bereitet er das Karma der Zukunft vor.

   

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