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II.

 

Warum erkrankt der Mensch?

Wer über die Tatsache nachdenkt, dass der Mensch krank sein kann, der kommt, wenn er rein naturwissenschaftlich denken will, in einen Widerspruch hinein, von dem er zunächst annehmen muss, dass er in dem Wesen des Daseins selbst liege. Was im Krankheitsvorgang geschieht, ist, obenhin betrachtet, ein Naturprozess. Was an seiner Stelle im gesunden Zustand vorgeht, ist aber auch ein Naturprozess.

Naturprozesse kennt man zunächst nur durch die Beobachtung der aussermenschlichen Welt und durch die Beobachtung des Menschen nur insofern, als man diese genau ebenso anstellt wie diejenige der äusseren Natur. Man denkt sich dabei den Menschen als ein Stück der Natur; ein solches, in dem die auch ausser ihm zu beobachtenden Vorgänge sehr kompliziert sind, aber doch von derselben Art, wie diese äusseren Naturprozesse.

Es entsteht da aber die von diesem Gesichtspunkte aus unbeantwortbare Frage: wie entstehen innerhalb des Menschen – vom Tiere soll hier nicht gesprochen werden – Naturprozesse, die den gesunden entgegengesetzt sind?

Der gesunde menschliche Organismus scheint als ein Stück der Natur begreiflich zu sein; der kranke nicht. Er muss daher aus sich selbst begreiflich sein durch etwas, das er nicht von der Natur hat.

Man stellt sich wohl vor, dass das Geistige im Menschen zur physischen Grundlage einen komplizierten Naturprozess wie eine Fortsetzung des ausserhalb des Menschen befindlichen Natürlichen habe. Aber man sehe doch, ob jemals die im gesunden menschlichen Organismus begründete Fortsetzung eines Naturprozesses das geistige Erleben als solches hervorruft? Das Gegenteil ist der Fall. Das geistige Erleben wird ausgelöscht, wenn der Naturprozess sich in gerader Linie fortsetzt. Es geschieht dies im Schlafe; es geschieht in der Ohnmacht.

Man sehe dagegen, wie das bewusste Geistesleben verschärft wird, wenn ein Organ erkrankt. Schmerz stellt sich ein oder wenigstens Unlust und Unbehagen. Das Gefühlsleben erhält einen Inhalt, den es sonst nicht hat. Und das Willensleben wird beeinträchtigt. Eine Gliedbewegung, die sich im gesunden Zustande selbstverständlich vollzieht, kann nicht ausgeführt werden, weil sich der Schmerz oder die Unlust hemmend entgegenstellen.

Man beachte den Übergang von der schmerzbegleiteten Bewegung eines Gliedes zu dessen Lähmung. In der schmerzbegleiteten Bewegung liegt der Anfang der gelähmten. Das aktiv Geistige greift in den Organismus ein. Im gesunden Zustande offenbart sich dieses zunächst im Vorstellungs- oder Denkleben. Man aktiviert eine Vorstellung; und eine Gliedbewegung folgt. Man geht mit der Vorstellung nicht bewusst in die organischen Vorgänge ein, die zuletzt zur Gliedbewegung führen. Die Vorstellung taucht in das Unbewusste unter. Zwischen der Vorstellung und der Bewegung tritt im gesunden Zustande ein Fühlen ein, das nur seelisch wirkt. Es lehnt sich nicht deutlich an ein körperlich Organisches an. Im kranken Zustande ist das aber der Fall. Das Fühlen, das im gesunden Zustande als losgelöst von dem physischen Organismus erlebt wird, verbindet sich im kranken Erleben mit diesem.

Die Vorgänge des gesunden Fühlens und des kranken Erlebens erscheinen dadurch in ihrer Verwandtschaft. Es muss etwas da sein, das im gesunden Organismus mit diesem nicht so intensiv verbunden ist als im kranken. Der geistigen Anschauung enthüllt sich dieses als der astralische Leib. Er ist eine übersinnliche Organisation innerhalb der sinnlichen. Er greift entweder lose in ein Organ ein, dann führt er zum seelischen Erleben, das für sich besteht und nicht in Verbindung mit dem Körper empfunden wird. Oder er greift intensiv in ein Organ ein; dann führt er zum Erleben des Krankseins. Man muss sich eine der Formen des Krankseins in einem Ergreifen des Organismus durch den astralischen Leib vorstellen, die den geistigen Menschen tiefer in seinen Körper untertauchen lässt, als dies im gesunden Zustande der Fall ist.

Aber auch das Denken hat seine physische Grundlage im Organismus. Es ist im gesunden Zustande nur noch mehr von diesem losgelöst als das Fühlen. Die geistige Anschauung findet ausser dem astralischen Leib noch eine besondere Ich-Organisation, die sich seelisch frei im Denken darlebt. Taucht mit dieser Ich-Organisation der Mensch intensiv in sein Körperhaftes unter, so tritt ein Zustand ein, der die Beobachtung des eigenen Organismus derjenigen der Aussenwelt ähnlich macht. – Beobachtet man ein Ding oder einen Vorgang der Aussenwelt, so liegt die Tatsache vor, dass der Gedanke im Menschen und das Beobachtete nicht in lebendiger Wechselwirkung stehen, sondern unabhängig voneinander sind. Das tritt für ein menschliches Glied nur dann ein, wenn es gelähmt wird. Dann wird es Aussenwelt. Die Ich-Organisation ist nicht mehr lose wie im gesunden Zustande mit dem Gliede vereinigt, so dass sie sich in der Bewegung mit ihm verbinden und gleich wieder loslösen kann; sie taucht sich dauernd in das Glied ein und kann sich nicht mehr aus ihm zurückziehen.

Wieder stellen sich die Vorgänge des gesunden Bewegens eines Gliedes und die Lähmung in ihrer Verwandtschaft nebeneinander. Ja, man sieht es deutlich: die gesunde Bewegung ist eine angefangene Lähmung, die sogleich in ihrem Anfange wieder aufgehoben wird.

Man muss in dem Wesen des Krankseins eine intensive Verbindung des astralischen Leibes oder der Ich-Organisation mit dem physischen Organismus sehen. Aber diese Verbindung ist doch nur eine Verstärkung derjenigen, die in einer loseren Art im gesunden Zustande vorhanden ist. Auch das normale Eingreifen des astralischen Leibes und der Ich-Organisation in den menschlichen Körper sind eben nicht den gesunden Lebensvorgängen verwandt, sondern den kranken. Wirken Geist und Seele, so heben sie die gewöhnliche Einrichtung des Körpers auf; sie verwandeln sie in eine entgegengesetzte. Aber damit bringen sie den Organismus auf einen Weg, bei dem das Kranksein beginnen will. Er wird im gewöhnlichen Leben sofort nach dem Entstehen durch eine Selbstheilung reguliert.

Eine gewisse Form des Krankseins tritt dann ein, wenn das Geistige oder Seelische zu weit nach dem Organismus vorstossen, so dass die Selbstheilung entweder gar nicht, oder nur langsam eintreten kann.

In der Geist- und Seelenfähigkeit hat man also die Ursachen des Krankseins zu suchen. Und das Heilen muss in einem Loslösen des Seelischen oder Geistigen von der physischen Organisation bestehen.

Das ist die eine Art des Krankseins. Es gibt noch eine andere. Es können die Ich-Organisation und der astralische Leib abgehalten sein, es zu der losen Verbindung mit dem Körperlichen zu bringen, die im gewöhnlichen Dasein das selbständige Fühlen, Denken und Wollen bedingen. Dann tritt in den Organen oder Vorgängen, an die Geist und Seelenicht heran können, eine Fortsetzung der gesunden Vorgänge über dasjenige Mass hinaus ein, das dem Organismus angemessen ist. Und der geistigen Anschauung zeigt sich in diesem Falle, dass dann der physische Organismus doch nicht bloss die leblosen Prozesse der äusseren Natur vollbringt. Der physische Organismus ist von einem ätherischen Organismus durchsetzt. Der blosse physische Organismus könnte niemals einen Selbstheilungsvorgang hervorrufen. Ein solcher wird in dem ätherischen Organismus angefacht. Damit aber wird die Gesundheit als der Zustand erkannt, der im ätherischen Organismus seinen Ursprung hat. Heilen muss daher in einer Behandlung des ätherischen Organismus bestehen.*

* Durch ein Vergleichen dessen, was im ersten Kapitel gesagt ist, mit dem Inhalt des zweiten wird sich das Verständnis dessen besonders ergeben, was in Betracht kommt.

   

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