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Viertes Bild

 

(Dasselbe Zimmer wie im ersten Bild. Capesius und Strader.)

 

Capesius (zu dem eintretenden Strader):

Mir Freuden grüße ich den Freund,

der mir in mancher heißen Redeschlacht

rech wacker stand gehalten.

 Ihr habt Euch lange nicht

In meinem Hause sehen lassen. –

Ihr habt es früher doch so gern besucht.

Strader:

Es fehlte mir an Zeit.

Mein Leben hat sich stark verändert.

 Ich martre mein Gehirn nicht mehr

mit hoffnungslosen Denkgespinsten.

Ich hab’ das Wissen, das ich mir erwarb,

der echten Arbeit Dienst gewidmet,

die Nutzen stiften kann im Leben.

Capesius:

 So habt Ihr denn verlassen Euren Forscherweg?

Strader:

Man könnt’ auch sagen,

ich sei von ihm verlassen worden.

Capesius:

Und welchem Ziele habt Ihr Euch denn zugewandt?

Strader:

Das Leben ist geeignet nicht,

 dem Menschen Ziele anzuweisen,

die lichtvoll er durchschauen kann.  

Ein Triebwerk ist es nur,

das uns in seine Räderläufe zieht – –,

und müde ins in Finsternis verwirft,

 wenn unsrer Kräfte Maß erschöpft sich hat.

Capesius:

Ich habe Euch gekannt, als Ihr mit hohem Mut

euch kühn an Daseinsrätsel wagtet.

Erfahren hab’ ich auch,

wie Ihr errungne Wissensschätze

 ins Bodenlose sinken saht,

und tief erschüttert eure Seele

den bittren Kelch enttäuschter Forscherträume trank.

Doch lag mir stets die Meinung ferne,

daß Ihr aus eurem Herzen reißen könntet

 den Trieb, der Euch so ganz erfüllte.

Strader:

Gedenkt Ihr noch des Tages,

da eine Seherin durch ihrer Worte Wahrheit

mir klar des eignen Weges Irrtum wies?

Nicht konnt’ ich anders, als mir selbst gestehn,

 daß alles Denkens Werk

des Lebens echte Quellen nirgends finden kann.

Es muß ja alles Denken irren,

wenn sich der höchsten Weisheit Licht

erschließen kann der Seelenkraft,

 die jene Frau ihr eigen nannte.

Gewiß doch strebt vergebens strenge Wissenschaft

zu solcher Offenbarung.

Und wär’ es noch geblieben

bei dieser einen Niederlage meines Forscherwahns: ‒

 ich glaube, daß vermocht ich hätte,

von vorne wieder anzufangen,

und meine eignen Wege

mit jenen andern Wegen zu verbinden.

Doch als ich sehen mußte,

 wie eine sonderbare Geistesart,

die mir als Wahnwitz nur erscheint,  

in Schaffenskraft die Ohnmacht wandelt: –

da schwand mir alle Hoffnung.

‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒

Gedenkt des jungen Malers Ihr,

 den wir zusammen trafen

auf zweifelhaften Geisteswegen? –

Nach solchen Schicksalsschlägen

verlebt ich viele Wochen

mit dumpfem Sinn, dem Wahnsinn nah.

 Und als Natur mich wieder zur Besinnung brachte,

da stand es mir auch felsenfest,

zu meiden alles weitre Suchen.

Um ganz gesund zu werden,

bedurft’ ich langer Zeit.

 Ich habe sie recht freudelos verlebt.

Ich übte mich in solchen Dingen,

die mich zur Lebenspraxis führten.

So steh’ ich heute einer Werkstatt vor,

in der man Schrauben walzt.

 Doch dank’ ich dieser Arbeit,

daß ich vergessen kann durch viele Stunden,

wie qualvoll war mein wesenloses Ringen.

Capesius:

Bekennen muß ich, daß ich kaum

den frühern Freund kann wiederfinden,

 in dem, der heute mir sich zeigt. – ‒

Erlebt Ihr außer jenen Stunden,

von denen Ihr mir spracht,

nicht solche auch,

in welchen alte Stürme sich erneuern,

 die Euch aus diesem dumpfen Leben drängen?

Strader:

Es sind mir nicht erspart die Stunden,

in welchen Ohnmacht nur mit Ohnmacht

in meiner Seele kämpfen will.

Doch hat mein Schicksal nicht gewollt,

 daß neue Hoffnungsstrahlen  

für dieses ganz verlorne Leben

ins Herz mir dringen können.

Entsagung will ich mir erringen;

Die Kraft, die jetzt sie fordert,

Sie möge mir Begabung bringen,

den Forschungsweg in andrer Art zu wandeln,

‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒

wenn dieser Erdenlauf sich wiederholen sollt’.

Capesius:

Ihr spracht –, o hab ich recht gehört,

von Wiederholung Eures Erdenlaufs.

 

So habt Ihr doch gewonnen

die schicksalsschwere Wahrheit

auf jenen Geistesbahnen,

die Ihr auch heute noch

als zweifelhaft nur gelten lassen wollt?

Strader:

 Ihr selbst habt so das dritte aufgefunden,

daß mich bestärkt noch hat,

ein neues Leben zu beginnen.

Auf meinem Krankenlager suchte ich

zum letzten Male noch zu überblicken

 des Wissens Umkreis, den ich mir erworben hatte.

Ich tat’s, bevor zu andrem Ziele ich mich wandte.

Und hundertmal wohl fragt’ ich mich:

Was kann Naturerkenntnis lehren,

wie wir sie jetzt schon überschauen können?

 – ‒ ‒ Es gibt da kein Entweichen – ‒ ‒:

Des Erdenlebens Wiederholung,

die kann und darf kein Denken leugnen,

daß nicht mit allem brechen will,

was Forscherfleiß erkannt in langer Zeiten Lauf.

Capesius:

 Es wäre mir durch solch Erlebnis

gar vieles Leid erspart geblieben.

Ersehnt hab’ ich in mancher Nacht,

die schlaflos ich vollbracht,  

daß mir Gedanken dieser Art

 Erlösung bringen möchten.

Strader:

Doch hat mir dieser Geistesblitz

Die letzten Kräfte noch geraubt.

Ich fühlte stets als meiner Seele stärksten Trieb,

am Leben nachzuprüfen,

 was mir das Denken als die Wahrheit gibt.

Es wollt’ ein Zufall nur in jenen schweren Tagen

am eignen Dasein mir erweisen,

wie grausam diese folgenschwere Wahrheit ist.

Sie läßt die Lebensfreuden und das Lebensleid

 als Folgen unsres eignen Wesens uns erscheinen.

Und dies ist oft recht schwer zu tragen.

Capesius:

Unmöglich scheint mir dies Erlebnis. –

Was könnte eine Wahrheit überstrahlen,

die wir doch unabläsig suchen,

 nd die dem Geist Gewißheit gibt?

Strader:

Es mag für Euch so sein.

Doch ich muß anders fühlen.

Bekannt ist Euch mein sonderbarer Lebensweg –,

ein Zufall schien’s zu sein,

 der meiner Eltern Absicht kreuzte. –

Sie hatten mich zum Mönche machen wollen.

Sie haben mir es oft gesagt,

daß sie als ihres Lebens größten Schmerz

des Sohnes Ketzerei betrachten müßten.

 Ich nahm dies alles hin – ‒

und vieles noch dazu,

wie man das Leben eben nimmt,

wenn man Geburt und Tod

zu Grenzen macht der Erdenpilgerschaft.

 Und auch mein spätres Leben

mit allen zertretnen Hoffnungen,

es stellte sich mir als Gebilde dar,  

das sich durch sich nur selbst erklären läßt.

O wäre nie der Tag gekommen,

 der mich zu andrer Meinung hat gebracht.

Denn wißt, ich habe Euch nicht alles anvertraut,

was mir das Schicksal auferlegt.

Ich bin nicht jener Leute Kind,

die mich zum Mönche haben machen wollen.

 Sie haben, als ich wenige Tage alt erst war,

an Kindesstatt mich angenommen.

Meine wahre Herkunft ist mir unbekannt.

So war ich Fremdling schon im Elternhaus.

Und fremd bin ich geblieben allem,

 was ich um mich erlebt in spätrer Zeit.

Und jetzt verpflichtet mich mein Denken,

den Blick in alte Zeiten hinzuwenden,

in welchen ich mich selbst der Welt beraubt.

Es fügt sich ja Gedanke and Gedanke:

 Wer so zum Weltenfremdling ist bestimmt

noch ehe sein Bewußtsein dämmert,

der hat dies Schicksal schon gewollt,

bevor er denkend wollen konnte.

Und da ich ferner so geblieben bin,

 wie ich im Anfang war,

so muß mir jeder Zweifel schwinden,

daß ich in Dumpfheit Mächten unterliege,

die mir die Schicksalsfaden spinnen,

und die sich mir nicht offenbaren wollen.

 Was fehlt da noch, mir grausam zu beweisen,

wie dicht die Schleier sind,

die mir das eigne Sein verhüllen!

Und jetzt, o, urteilt ohne falsche Wissenssucht,

ob meine neue Wahrheit mir das Licht gebracht?

 Gewißheit hat sie mir jedoch gegeben,

daß ich im Ungewissen bleiben muß.

Sie hat mir so das Schicksal vorgestellt,

daß ich ihm, halb vom Schmerz erfüllt,

und halb wie seiner spottend,  

 mit gleicher Münze zahlte.

Es kam ganz furchtbar über mich:

Mit bittrem Hohngefühl durchpeinigt,

mußt’ ich dem Leben mich entgegenstellen;

und alles Schicksalsgaukelspiel verlachend,

 ergab ich mich der Finsternis.

Ich konnte nur noch Eines denken:

Nimm mich ganz hin, du Lebensräderwerk;

ich will nicht wissen, wie du’s treibst.

Capesius:

Der Mann, den ich erkannt in Euch,

 er kann in solcher Wissensöde

nicht lange bleiben, auch wenn er wollte.

Mir stehn die Tage schon vor Augen,

in denen wir uns anders finden werden.

(Vorhang fällt, während die beiden noch sich gegenüberstehen.)  

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