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 I.

Das Seelenwesen

im Dämmerdunkel des Traumes

Will der Mensch innerhalb des gewöhnlichen Erlebens sein Seelenwesen anschauen, so kann es nicht genügen, dass er den geistigen Blick nur gewissermassen rückwärts wendet, um in sich hineinblickend das zu sehen, was er als ein in die Welt Hinausschauender ist. Er sieht auf diese Art nichts Neues. Er sieht, was er als Weltbetrachter ist, nur in einer andern Richtung. ‒ Er ist im wachen Leben fast ganz an die Aussenwelt hingegeben. Er lebt in seinen Sinnen. In deren Eindrücken lebt die Aussenwelt weiter fort in dem menschlichen Innern. In diese Eindrücke weben sich die Gedanken. Auch in ihnen lebt die Aussenwelt. Nur die Kraft, mit der die Aussenwelt in den Gedanken ergriffen wird, kann als Eigenwesenheit des Menschen empfunden werden. Aber diese Empfindung einer Eigenkraft hat einen ganz allgemeinen, unbestimmten Charakter. Man kann in ihr mit dem gewöhnlichen Bewusstsein nichts unterscheiden. Wäre man darauf angewiesen, in ihr das Seelenwesen zu erkennen, so hätte man von demselben nichts als eine unbestimmte Eigen-Empfindung, von der man nicht wüsste, was sie ist.

Es ist das Unbefriedigende der auf diese Art zustande gekommenen Selbstbeobachtung, dass ihr das Seelenwesen sofort entschlüpft, da sie es fassen will. Menschen, die ernsthaft nach Erkenntnis streben, können durch dies Unbefriedigende zur Verzweiflung an aller Erkenntnis getrieben werden.

Deshalb haben sinnende Menschen fast immer auf andern Wegen als durch solche Selbstbeobachtung die Erkenntnis des Seelenwesens gesucht. Sie fühlten im Sinnes-Anschauen und im gewöhnlichen Denken das Hingegebensein jener unbestimmten Eigen-Empfindung an den Körper. Sie erkannten, dass die Seele, solange sie in dieser Hingebung verharrt, durch Selbstbeobachtung nichts von ihrem Eigenwesen erkennen kann.

Ein Gebiet, auf das sie dies Gefühl lenkte, ist der Traum. Sie wurden gewahr, dass die Bilderwelt, die der Traum heranzaubert, mit jener unbestimmten Eigen-Empfindung etwas zu tun habe. Diese stellte sich ihnen gewissermassen als die leere Tafel dar, auf der der Traum seine Bilder malt. Und dann erkannten sie, dass die Tafel selbst der Maler ist, der an und in sich malt.

So wurde ihnen das Träumen die flüchtige Tätigkeit im Menschen-Innern, welche die unbestimmte Eigen-Empfindung des Seelenwesens mit Inhalt erfüllt. Ein fragwürdiger Inhalt; aber der einzige, den man zunächst vom Seelenwesen haben kann. Ein Anschauen, herausgehoben aus der Helligkeit des gewöhnlichen Bewusstseins, gestossen in das Dämmerdunkel das Halb-Bewusstseins; aber in der einzigen Gestalt, in der es für das alltägliche Leben zu erreichen ist.

Aber trotz dieses Dämmerdunkels ergibt sich, zwar nicht für die denkende Selbstbeobachtung, wohl aber für das innerliche Sich-Ertasten ein sehr Bedeutungsvolles. Eine Verwandtschaft des Träumens mit der schaffenden Phantasie lässt sich seelisch ertasten. Man fühlt, dass, was im Traume luftig webt, im Phantasie-Schaffen ergriffen wird vom Körper-Innern. Und dieses Körper-Innere zwingt die Traumbildnerkraft, abzulassen von ihrer Willkür und sich umzugestalten zu einer Tätigkeit, die in zwar freier Weise aber doch nachbildet, was in der Sinneswelt vorhanden ist.

Hat man sich bis zu einem solchen Ertasten der Innenwelt durchgerungen, so kommt man bald um einen Schritt weiter. Man wird gewahr, wie die traumbildende Kraft eine noch innigere Verbindung mit dem Körper eingehen kann. Man schaut diese ahnend in der Tätigkeit der Erinnerung, des Gedächtnisses. In diesem zwingt der Körper die traumbildende Kraft in eine noch stärkere Treue gegenüber der Aussenwelt hinein als in der Phantasie.

Ist dies durchschaut, dann bleibt nur noch ein Schritt dazu, anzuerkennen, dass auch im gewöhnlichen Denken und sinnlichen Wahrnehmen die traumbildende Kraft als Seelenwesen zum Grunde liegt. Sie ist da ganz an den Körper hingegeben, während sie in Phantasie und Gedächtnis noch etwas von ihrem Eigenweben zurückbehält.

Das gibt dann ein Recht, im Träumen das Seelenwesen zu vermuten, das sich von dem Hingegebensein an den Körper befreit und in seiner Eigenheit lebt.

So wurde der Traum das Feld vieler Seelensucher.

Aber er verweist den Menschen in ein recht unsicheres Gebiet. In der Hingabe an den Körper wird das Seelenwesen in die Gesetze eingespannt, von denen die Natur durchsetzt ist. Der Körper ist ein Teil dieser Natur. Indem sich das Seelenwesen an den Körper hingibt, verwebt es sich zugleich in die Gesetzmässigkeit der Natur. ‒ Die Mittel, durch die es sich so dem Naturdasein anpasst, empfindet es als Logik. In dem logischen Denken über die Natur fühlt die Seele sich sicher. In der traumbildenden Kraft entreisst sie sich diesem logischen Denken über die Natur. Sie geht in ihr Eigenwesen zurück. Damit aber verlässt sie gleichsam die wohlgepflegten und gerichteten Landwege des inneren Lebens und begibt sich hinaus in das verfliessende, weglose Meer des geistigen Daseins.

Die Schwelle zur geistigen Welt scheint überschritten; aber nach dem Überschreiten bietet sich nur das bodenlose, richtungslose geistige Element dar. Seelensucher, die so die Schwelle überschreiten wollen, finden das reizvolle, aber auch zweifelerregende Gebiet des Seelenlebens.

Es ist voller Rätsel. Bald webt es aus den äusseren Erlebnissen luftige Zusammenhänge, die der Naturgesetzmässigkeit spotten; bald gestaltet es Sinnbilder der inneren körperlichen Vorgänge und Organe. Das zu stark pochende Herz erscheint als kochender Ofen im Traume; die schmerzende Zahnreihe als ein Zaun mit schadhaften Pflöcken. ‒ Und sich selbst lernt da der Mensch auf eine eigentümliche Art kennen. Sein triebhaftes Leben gestaltet sich zu den Bildern bedenklicher Traumhandlungen, die er im wachen Dasein weit von sich weisen würde. Besonderes Interesse erregen bei den Seelensuchern diejenigen Träume, die prophetischen Charakter haben, oder in denen die Seele Fähigkeiten sich erträumt, die ihr im wachen Zustande ganz abgehen.

Die Seele erscheint da losgelöst von ihrem Eingespanntsein in die Körper- und Naturtätigkeit. Sie will selbständig sein. Sie schickt sich an zu dieser Selbständigkeit. Aber sofort, wenn sie sich entfalten will, zieht ihr die Körper-und Naturtätigkeit nach. Sie will nichts wissen von Naturgesetzlichkeit; aber die Tatsachen der Natur erscheinen im Traume als Naturwidrigkeiten. Sie will wissen von den inneren Körperorganen oder Körpertätigkeiten. Aber sie bringt es nicht zu klaren Bildern dieser Organe oder Tätigkeiten, sondern nur zu Sinnbildern, die den Charakter der Willkür an sich tragen. Das äussere Natur-Erleben wird aus der Bestimmtheit gerissen, in der es sich durch Sinnes-Wahrnehmung und Denken befindet; das Erleben des Menschen-Innern beginnt; es beginnt aber in einer dunklen Gestalt. Naturanschauung wird verlassen; Selbstanschauung wird nicht wahrhaft erreicht. Die Erforschung des Traums versetzt den Menschen nicht in die Lage, das Seelenwesen in seiner echten Gestalt zu schauen. Er hat es durch ihn zwar geistig fassbarer vor sich als in der denkenden Selbstbeobachtung; aber doch so wie etwas, das man eigentlich sehen sollte, das man aber nur wie durch eine Hülle greifen kann.

   

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