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III.

Das Seelenwesen

auf dem Wege zur Selbstbeobachtung

Im Traume erfasst sich das Seelenwesen in einer flüchtigen Gestalt, die eine Maske ist. Im traumlosen Schlafe verliert es sich scheinbar ganz. In der geistigen Selbstanschauung, die durch die besonnene Nachbildung des Träumens gewonnen wird, gelangt die Seele zu sich als schaffendes Wesen, deren Nachbild der Körper ist.

Aber der Traum steigt aus dem Schlafe auf. Wer es unternimmt, den Traum heraufzuholen in das helle Licht des Bewusstseins, der muss auch den Antrieb empfinden, noch weiter zu gehen. Er tut dies, wenn er versucht, den traumlosen Schlaf bewusst zu erleben.

Das scheint unmöglich zu sein. Denn im Schlafe hört eben die Bewusstheit auf. Und das Verlangen, bewusst die Bewusstlosigkeit erleben, erscheint wie eine Torheit.

Die Torheit tritt aber sogleich in eine andere Beleuchtung, wenn man sich den Erinnerungen gegenüberstellt, die man von einem gewissen Zeitpunkte an rückwärts bis zum letzten Aufwachen verfolgen kann. Man muss dabei nur so verfahren, dass man die Erinnerungsbilder ganz lebendig anknüpft an das, woran sie erinnern. Versucht man dann ‒ nach rückwärts ‒ fortzuschreiten bis zum nächsten vorläufig bewussten Erinnerungsbild, so liegt dies vor dem letzten Einschlafen. Hat man nun wirklich die Anknüpfung an das Erinnerte lebendig vollzogen, so entsteht eine innere Schwierigkeit. Man kann das Erinnerungsbild nach dem Aufwachen nicht an dasjenige vor dem Einschlafen heranbringen.

Das gewöhnliche Bewusstsein hilft sich über die Schwierigkeit dadurch hinweg, dass es die Anknüpfung an das Erinnerte nicht lebhaft vollzieht, und einfach das Aufwachebild an das Einschlafebild setzt. ‒ Wer aber das Bewusstsein durch das besonnene Nachahmen des Träumens in seiner Empfindungsfähigkeit gehoben hat, dem fallen die beiden Bilder auseinander. Für ihn liegt ein Abgrund zwischen beiden. Aber, indem er diesen Abgrund bemerkt, füllt dieser sich auch schon für ihn aus. Der traumlose Schlaf hört auf, im Selbstbewusstsein ein leerer Zeitverlauf zu sein. Aus ihm taucht wie eine Erinnerung eine geistige Erfüllung der »leeren Zeit« auf. Allerdings wie eine Erinnerung an etwas, das das gewöhnliche Bewusstsein vorher gar nicht in sich gehabt hat. Aber es trägt trotzdem diese Erinnerung geradeso den Hinweis auf ein Erleben der eigenen Seele in sich wie nur irgendeine gewöhnliche Erinnerung. Dadurch aber sieht die Seele wirklich in das hinein, was ihr für das gewöhnliche Erleben ‒ im traumlosen Schlafe ‒ als bewusstlos verläuft.

Das ist der Weg, auf dem das Seelenwesen noch tiefer in sich hineinschaut als in dem Zustand, der als Folge der bewusst-besonnenen Traum-Nachahmung eintritt. Durch diesen Zustand schaut die Seele auf ihr eigenes, den Körper gestaltendes Wesen. Durch das bewusste Durch dringen des traumlosen Schlafes schaut sie sich völlig losgelöst vom Körper in ihrem Eigenwesen.

Aber sie schaut nunmehr nicht nur auf das Gestalten des Körpers, sondern über dasselbe hinaus auf die Gestaltung des eigenen Wollens.

Das innere Wesen des Wollens bleibt für das gewöhnliche Bewusstsein so unbekannt wie die Erlebnisse des traumlosen Schlafens. Man erlebt einen Gedanken, der die Absicht des Wollens in sich schliesst. Dieser Gedanke taucht unter in die undeutliche Welt der Gefühle und entschwindet in das Dunkel der körperlichen Vorgänge. Er taucht von aussen wieder auf als der körperliche Vorgang der Armbewegung, die neuerdings durch einen Gedanken erfasst wird. Es liegt zwischen den beiden Gedankeninhalten etwas wie der Schlaf zwischen den Gedanken vor dem Einschlafen und denen nach dem Aufwachen.

Aber wie das innere Schaffen der Seele am Körper dem ersten Schauen der Seele fassbar wird, so das Wollen über den Körper hinaus dem zweiten. Die Seele kann den Weg finden, ihr inneres Schaffen am Körper in seinem organischen Aufbau zu schauen; und sie kann auch auf den andern Pfad gelangen, wo ihr erfassbar wird, wie sie am Körper schafft, um aus diesem das Wollen herauszuholen.

Und wie zwischen Schlafen und Wachen das Träumen liegt, so zwischen Wollen und Denken das Fühlen. Auf demselben Wege, der zur Durchleuchtung des Willensvorganges führt, liegt auch die Erhellung der Gefühlswelt.

Im ersten Schauen enthüllt sich die Seele ihr inneres Schaffen am Organismus. Im zweiten Schauen dringt sie zum Wollen. Aber der Offenbarung des Wollens nach aussen muss ein inneres Schaffen vorangehen. Bevor der Arm gehoben wird, muss in ihn der Schaffensstrom sich so ergiessen, dass seinen Stoffwechselvorgängen, die in der Ruhe des Lebens erfolgen, solche eingeschoben werden, die als Gefühlsverlauf offenbar werden. Das Fühlen ist ein Wollen, das innerhalb des Menschen beschlossen bleibt; ein Wollen, das in der Entstehung festgehalten wird.

Die für das Fühlen und Wollen in den Körper eingeschobenen Vorgänge enthüllen sich für das zweite Schauen als Vorgänge, die denen entgegengesetzt sind, welche das Leben unterhalten. Es sind abbauende Vorgänge. In den aufbauenden Vorgängen gedeiht das Leben; aber es erstirbt in ihnen das Seelenwesen. Das Leben des Körpers, das selbst von der Seele aufgebaut wird, muss abgebaut werden, damit das Wesen und Wirken der Seele aus dem Körper sich entfalten kann.

Für die geistige Anschauung ist das Schaffen der Seele am Körper wie eine Erinnerung an etwas, das sie erst vollbracht hat, bevor sie sich selber im Wirken darlebt.

Damit aber erlebt sich die Seele als rein geistiges Wesen, das seinem Wirken die Gestaltung des Körpers hat vorangehen lassen, um an demselben die Grundlage für die ureigene, rein geistige Entfaltung zu haben. Die Seele gibt erst ihr Schaffen an den Körper hin, um, nachdem sie diesem Genüge getan hat, sich in freier Geistigkeit zu offenbaren.

Und diese Entfaltung des Seelenwesens beginnt schon mit dem Denken selbst, das sich aus der Sinneswahrnehmung heraus ergibt. Nimmt man einen Gegenstand wahr, so tritt schon die Seele in Tätigkeit. Sie gestaltet den entsprechenden Körperteil so, dass er geeignet wird, in dem Gedanken ein Spiegelbild des Gegenstandes zu entfalten. In dem Erleben dieses Spiegelbildes schaut dann die Seele das Ergebnis ihrer eigenen Tätigkeit an.

Man wird das Geistwesen der Seele niemals finden, wenn man über die Gedanken philosophiert, die vor dem gewöhnlichen Bewusstsein auftreten. Denn die Geisttätigkeit der Seele liegt nicht in diesen, sondern hinter ihnen. Es ist richtig, dass die Gedanken, welche die Seele erlebt, Ergebnisse der Gehirntätigkeit sind. Aber die Gehirntätigkeit ist erst das Ergebnis der Geisttätigkeit der Seele. In der Verkennung dieser Tatsache liegt das Ungesunde der materialistischen Weltanschauung. Wenn diese aus allen möglichen wissenschaftlichen Voraussetzungen beweist, dass die Gedanken Ergebnisse der Gehirntätigkeit sind, so hat sie recht. Und eine Anschauung, welche in diesem Punkte eine Widerlegung liefern will, wird stets abprallen an dem, was der Materialismus zu sagen hat. Aber die Gehirntätigkeit ist Ergebnis von Geisttätigkeit. Um das zu durchschauen, genügt nicht die Wendung der Anschauung nach rückwärts in den Menschen hinein. Da stösst man auf die Gedanken. Und diese haben nur eine Bildwirklichkeit. Diese ist das Ergebnis des Körperlichen. Man muss im Rückwärtsschauen erstarkte und erkraftete Seelenfähigkeiten ins Leben treten lassen. Man muss die träumende Seele dem Dämmerdunkel des Traumes entreissen; da verflüchtigt sie sich nicht in Phantasmen, sondern legt ihre Maske ab, um als geistig im Körper schaffendes Wesen zu erscheinen. Man muss die schlafende Seele der Finsternis des Schlafes entreissen; da verschwindet sie nicht vor sich selbst, sondern stellt sich vor sich hin als rein geistiges Wesen, das im Wollen durch den Körper über diesen hinausschafft.

    

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