top of page

Zum Lesen des gesamten Kapitels in den Text klicken und dann mit Pfeiltasten oder Mausrolle navigieren.

II. Der Mensch als Sinnesorganismus

Der Anfang der Anthroposophie soll gemacht werden mit einer Betrachtung der menschlichen Sinne. Durch die Sinne kommt der Mensch nach der einen Seite hin in ein Verhältnis zu einer äußeren Welt. Wenn man von den Sinnen redet, sollte man zweierlei berücksichtigen. Zunächst sollte man unberücksichtigt lassen, wie der Mensch auf einem anderen – dem oben gekennzeichneten – Wege in eine Außenwelt, nämlich die geistige, eindringt. Und dann sollte man zuerst ganz davon absehen, ob sich hinter dem, was die Sinne beobachten, selbst ein Geistiges befindet. Zu dem Geistigen sollte man sich, wenn man von den Sinnen spricht, so stellen, daß man abwartet, inwiefern sich naturgemäß aus der Sinnesbeobachtung der Hinweis auf das Geistige ergibt. Weder abgewiesen, noch vorausgesetzt darf das Geistige werden; es muß sein Hereinscheinen erwartet werden.

Nicht die Gegenstände der sinnlichen Beobachtung, sondern die Sinne selbst, als menschliche Organe, werden hier ins Auge gefaßt. – Auf Grund dessen, was seine Sinne ihm vermitteln, bildet sich der Mensch Vorstellungen über eine Außenwelt. So entsteht Erkenntnis dieser Außenwelt. In bezug auf Erkenntnis kann man von Wahrheit und Irrtum sprechen. Entsteht nun der Irrtum bereits im Gebiet der Sinne, oder erst da, wo durch Urteil, Gedächtnis usw. Vorstellungen gebildet werden über die Aussagen der Sinne? Man hat ein Recht, von Sinnestäuschungen zu sprechen. Wenn durch eine Unregelmäßigkeit im Ohr oder im Auge ein Schall oder ein Lichteindruck anders erscheinen, als sie bei normaler Bildung der betreffenden Organe sich darstellen, so liegt z. B. Sinnestäuschung vor. Ist es deshalb unberechtigt, was Goethe gesagt hat: »Den Sinnen darfst du kühn vertrauen, kein Falsches lassen sie dich schauen, wenn dein Verstand dich wach erhält«? Goethes Satz erweist sich sofort als berechtigt, wenn man folgendes bedenkt. Ein Irrtum, welcher durch Verstand oder Gedächtnis herbeigeführt wird, ist von anderer Art als eine Sinnestäuschung. Die letztere kann nämlich durch den gesunden Verstand korrigiert werden. Wenn jemandem durch einen Fehler seines Auges sich ein vor ihm stehender Baum als Mensch darstellt, so wird er erst dann im Irrtum sein, wenn er den Augenfehler nicht korrigiert und etwa in dem vorgetäuschten Menschen einen Feind erblickt, gegen den er sich zur Wehr setzt. Nicht so ist es mit einem Irrtum des Verstandes, denn da ist es dieser Verstand selbst, der irrt, und welcher daher nicht zu gleicher Zeit seine eigenen Fehler korrigieren kann. – Zu wirklichen Irrtümern werden die Täuschungen der Sinne erst durch den Verstand. Diese Unterscheidung ist keine Pedanterie, sondern eine Notwendigkeit.

Viele Menschen sind gewöhnt, wenn sie von der sinnlichen Wahrnehmung sprechen, fünf Arten derselben aufzuzählen: das Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten (oder Fühlen). Es kann hier bei solcher Aufzählung nicht stehen geblieben werden, weil es noch solches gibt, wodurch der Mensch in ein anderes Verhältnis zur Außenwelt tritt, als es z. B. beim Hören oder Sehen der Fall ist. Auch die anthropologische Wissenschaft spricht gegenwärtig noch von anderen Sinnen als denjenigen, welche in obiger Aufzählung ins Auge gefaßt sind. Es ist hier nicht notwendig, auf die von der Anthropologie gegebene Aufzählung einzugehen. Es soll nur bemerkt werden, daß hier einer der sehr erfreulichen Punkte liegt, wo die auf die bloßen sinnenfällig-physischen Tatsachen sich stützende Wissenschaft durch ihre eigenen Beobachtungen zu Ansichten hingedrängt wird, die mit dem teilweise übereinstimmen, was der Geistesforscher feststellen muß. Solche Berührungspunkte werden sich im Laufe der Zeit immer mehr ergeben; und wenn guter Wille auf den verschiedenen Seiten waltet, wird doch eine Zeit bald möglich werden, in welcher für Natur- und Geistesforschung gegenseitiges Geltenlassen herrschen wird.

In anthroposophischer Beleuchtung darf alles dasjenige ein menschlicher Sinn genannt werden, was den Menschen dazu veranlaßt, das Dasein eines Gegenstandes, Wesens oder Vorganges so anzuerkennen, daß er dieses Dasein in die physische Welt zu versetzen berechtigt ist.

So angesehen, erscheint als der unbestimmteste, allgemeinste Sinn derjenige, welchen man Lebenssinn nennen kann. Der Mensch bemerkt das Dasein dieses Sinnes eigentlich nur dann recht, wenn durch ihn etwas wahrgenommen wird, was in der Leiblichkeit die Ordnung durchbricht. Der Mensch fühlt Mattigkeit, Ermüdung in sich. Er hört nicht die Ermüdung, die Mattigkeit; er riecht sie nicht; aber er nimmt sie in demselben Sinne wahr, wie er einen Geruch, einen Ton wahrnimmt. Solche Wahrnehmung, die sich auf die eigene Leiblichkeit bezieht, soll dem Lebenssinn zugeschrieben werden. Sie ist im Grunde beim wachenden Menschen immer vorhanden, wenn sie auch nur bei einer Störung recht bemerkbar wird. Durch sie empfindet sich der Mensch als ein den Raum erfüllendes, leibliches Selbst.

Verschieden von diesem Sinn ist derjenige, durch welchen der Mensch z. B. eine von ihm ausgeführte Bewegung wahrnimmt. Man bewegt ein Bein, und man nimmt diese Bewegung wahr. Es soll der Sinn, durch welchen dieses geschieht, der Eigenbewegungssinn genannt werden. Der Unterschied dieses Sinnes gegenüber dem ersten ergibt sich, wenn man bedenkt, daß man durch den Lebenssinn nur etwas wahrnimmt, was in der inneren Leiblichkeit vorhanden ist, ohne daß man selbst etwas dazu tut. Der Eigenbewegungssinn nimmt solches wahr, wozu eine Tätigkeit, eine Regsamkeit vorausgesetzt ist.

Der dritte Sinn ergibt sich, wenn bemerkt wird, wie der Mensch sich gegenüber von oben und unten, rechts und links usw. in einer bestimmten Lage zu erhalten vermag. Man kann ihn den Gleichgewichts- oder statischen Sinn nennen. Seine Eigentümlichkeit ergibt sich, wenn man bedenkt, daß man eine Wahrnehmung der Lage haben muß, wenn man sich als bewußtes Wesen in ihr erhalten soll. Wirkt der Gleichgewichtssinn nicht, so befällt den Menschen Schwindel; er sinkt um. Ein nicht bewußter Gegenstand wird ohne Wahrnehmung seiner Lage in derselben erhalten. Ein solcher kann nicht von Schwindel befallen werden. Die Anthropologie weist auf ein kleines Organ im menschlichen Ohre hin, wenn sie von diesem Sinne spricht. Es sind da drei halbzirkelförmige Kanäle, die im sogenannten Labyrinthe des Ohres liegen. Werden diese verletzt, so treten Schwindelzustände ein.

Wenn man die Eigenheiten der drei aufgezählten Sinne überblickt, so wird man finden, daß der Mensch durch einen jeden derselben etwas wahrnimmt, was sich auf das eigene physische Dasein bezieht. Durch den Lebenssinn erlangt er allgemeine Empfindungen über seine Leiblichkeit; durch den Eigenbewegungssinn nimmt er Veränderungen an dieser seiner Leiblichkeit wahr; durch den Gleichgewichtssinn nimmt er sein Verhältnis zur räumlichen Außenwelt wahr. Er erhält diese Wahrnehmung jedoch so, daß sie ihm als ein Zustand der eigenen Leiblichkeit, als seine eigene Lageempfindung sich offenbart. – Der Mensch erlangt durch diese drei Sinne die Empfindung der eigenen Leiblichkeit als eines Ganzen, welche die Grundlage ist für sein Selbstbewußtsein als physisches Wesen. Man kann sagen, die Seele öffnet durch Lebenssinn, Eigenbewegungssinn und Gleichgewichtssinn ihre Tore gegenüber der eigenen Leiblichkeit und empfindet diese als die ihr zunächst stehende physische Außenwelt.

Mit den folgenden Sinnen tritt der Mensch der nicht in dieser Art zu ihm selbst gehörigen Außenwelt gegenüber. Der erste hier in Betracht kommende Sinn ist derjenige, durch welchen der Mensch mit dem, was man Stoff nennt, am nächsten in Berührung tritt. Eine nahe Berührung mit dem Stofflichen lassen nur gas- oder luftförmige Körper zu. Und diese wird durch den Geruchsinn vermittelt. Ohne daß ein Stoff in der feinsten Art zerteilt ist und so luftartig sich verbreitet, kann er nicht durch den Geruchsinn wahrgenommen werden.

Die nächste Stufe der Sinnesempfindung ist dann diejenige, durch welche nicht mehr bloß der Stoff als solcher, sondern Wirkungen (Taten) des Stofflichen wahrgenommen werden. Es geschieht dies durch den Geschmackssinn. Durch diesen Sinn kann nur ein wässeriger Körper wahrgenommen werden, oder ein solcher, welcher, um geschmeckt zu werden, in der Flüssigkeit des Mundes aufgelöst wird. Es dringt durch den Geschmackssinn der Mensch um einen Grad tiefer in die äußere Stofflichkeit ein als durch den Geruchssinn. Bei dem letzteren ist es der Stoff selbst, der an den Menschen herantritt und sich in seiner Eigenart kundgibt; beim Geschmackssinn ist das, was empfunden wird, die Wirkung des Stoffes auf den Menschen. Man kann diesen Unterschied am besten dadurch empfinden, daß man sich vor Augen hält, wie beim Geruchssinn die gasförmige Art des Stoffes fertig an den Menschen herantreten muß, damit er sie, so wie sie ist, wahrnehmen kann; beim Geschmackssinn nimmt der Mensch durch seine eigene Flüssigkeit die Auflösung des Stoffes, also eine Veränderung mit diesem vor, um in jene Eigentümlichkeiten dieses Stoffes einzudringen, welche ihm dieser nicht von selbst offenbart. So ist der Geruchssinn geeignet, die Außenseite des Stofflichen zu empfinden; der Geschmackssinn dringt schon mehr in das Innere der stofflichen Dinge. Und dieses Innere muß der Mensch erst dadurch zur Offenbarung veranlassen, daß er die Außenseite verändert.

Noch tiefer in das Innere der physischen Außenwelt dringt der Mensch durch den nächsten Sinn. Es ist der Gesichtssinn. Ob der Mensch einen Körper rot oder blau sieht, das verrät ihm mehr von dem Innern dieses Körpers, als in der Wirkung enthalten ist, die durch den Geschmackssinn vermittelt wird. Es hängt von dem Wesen eines Körpers ab, ob er sich zu dem farblosen Sonnenlicht so verhält, daß er unter dem Einflüsse desselben rot oder blau erscheint. – Die Farbe gibt sich als Oberfläche eines Körpers kund. Aber man kann sagen, wie da der Körper in seiner Oberfläche sich offenbart, das ist ein Zutagetreten seiner inneren Wesenheit durch das Mittel des Lichtes.

Noch tiefer, gewissermaßen unter die Oberfläche der Körper, dringt der Wärmesinn. Befühlt man ein Stück Eis oder einen warmen Gegenstand, dann ist man sich darüber klar, daß die Kälte oder die Wärme etwas sind, was nicht nur an der Oberfläche nach außen erscheint wie die Farbe, sondern was den Körper ganz durchdringt. Man wird bemerken, wie die hier charakterisierte Stufenfolge der Sinne eine solche ist, daß der Mensch mit jedem folgenden tiefer untertaucht in das Innere der Körper der Außenwelt.

Ein weiterer Fortschritt in diesem Untertauchen ist mit dem Gehörsinn gegeben. Er führt in weit höherem Grade in das Innere der Körper als der Wärmesinn. Der Ton bringt die Innerlichkeit der Körper ins Erzittern. Es ist mehr als ein bloßes Bild, wenn man davon spricht, daß die Seele eines Körpers durch den Ton zur Offenbarung gebracht wird. Durch die Wärme, die ein Körper in sich trägt, erfährt man etwas über seinen Unterschied gegenüber der Umgebung; durch den Ton tritt die Eigennatur, das Individuelle des Körpers nach außen und teilt sich der Empfindung mit.

Wenn man, wie es der Sache entsprechend ist, da von Sinn spricht, wo eine Erkenntnis zustande kommt ohne Mitwirkung des Verstandes, des Gedächtnisses usw., so muß man noch andere Sinne als die aufgezählten anerkennen. Man wird, wenn man diese Unterscheidung zugrunde legt, leicht erkennen, daß im gewöhnlichen Leben das Wort ›Sinn‹ oft in uneigentlicher Weise angewendet wird. So, wenn man von Nachahmungssinn, Verheimlichungssinn usw. spricht. Bei dem, was als Nachahmung, Verheimlichung usw. auftritt, wirken schon der Verstand, das Urteil mit. Da hat man es mit keiner bloßen Sinnestätigkeit zu tun.

Ganz anders aber steht die Sache, wenn wir in der Sprache das wahrnehmen, was sich durch den Laut offenbart. Es ist gewiß selbstverständlich, daß in der Auffassung eines Gesprochenen eine komplizierte Urteilstätigkeit, daß dabei umfassende Seelenverrichtungen in Betracht kommen, welche durchaus nicht mit dem Worte ›Sinn‹ belegt werden können. Aber es gibt auf diesem Gebiete auch ein Einfaches, Unmittelbares, das genau so vor allem Urteilen eine Empfindung darstellt, wie eine Farbe, ein Wärmegrad eine solche ist. Ein Laut wird nicht bloß seinem Tonwert nach empfunden, sondern es wird mit ihm etwas viel Innerlicheres aufgefaßt, als es der Ton ist. Wenn man sagt, im Tone lebt die Seele eines Körpers, so kann man auch sagen, im Laut offenbart sich dieses Seelische so, daß es losgelöst, befreit vom Körperlichen, mit einer gewissen Selbständigkeit in die Erscheinung tritt. Weil die Lautempfindung vor dem Urteilen liegt, darum lernt das Kind früher die Lautbedeutungen der Worte empfinden, als es zum Gebrauche des Urteils kommt. An der Sprache lernt das Kind urteilen. Es ist durchaus gerechtfertigt, von einem besonderen Lautsinn oder Sprachsinn zu reden. Die Anerkennung dieses Sinnes macht nur aus dem Grunde Schwierigkeiten, weil zu der unmittelbaren Empfindung dessen, was im Laute sich offenbart, in der Regel die mannigfaltigste Urteilsbetätigung hinzutritt. Doch zeigt eine genaue Selbstbesinnung, daß allem Hören des in Lauten Gegebenen doch zum Grunde liegt ein ebensolch unmittelbares, urteilsfreies Verhältnis zu dem Wesen, von dem der Laut ausgeht, wie es der Fall ist, wenn ein Farbeneindruck wahrgenommen wird. Man erleichtert sich die Einsicht in diese Tatsache, wenn man sich vergegenwärtigt, wie ein Schmerzenslaut uns unmittelbar mitleben läßt den Schmerz eines Wesens, ohne daß sich erst irgendeine Überlegung oder dergleichen in die Wahrnehmung einmischt. – In Betracht kommt, daß der hörbare Laut nicht das einzige ist, wodurch sich dem Menschen eine solche Innerlichkeit offenbart, wie es beim Sprachlaut der Fall ist. Auch die Geste, Mimik, das Physiognomische führt zuletzt auf ein Einfaches, Unmittelbares, das ebenso in das Gebiet des Sprachsinnes gerechnet werden muß wie der Inhalt des hörbaren Lautes.

In einem noch höheren Grade verbirgt sich der Sinnescharakter bei dem nächsten Sinn, der zu charakterisieren ist. Wenn man einen Menschen, der sich durch Lautsprache, Gestus usw. mitteilt, versteht, so wirkt in diesem Verständnis zwar vorwiegend das Urteil, Gedächtnis usw. Doch führt auch hier eine rechte Selbstbesinnung dazu, anzuerkennen, daß es ein unmittelbares Erfassen, Verstehen gibt, das allem Überlegen, Urteilen vorangehen kann. Ein Gefühl für diese Tatsache erlangt man am besten dadurch, daß man sich klar macht, wie man auch das verstehen kann, wofür man es noch gar nicht zu einer Urteilsfähigkeit gebracht hat. Es gibt nämlich eine ganz unmittelbare Wahrnehmung auch für das, was sich im Begriffe offenbart, so daß man von einem Begriffssinn sprechen muß. Der Mensch kann das, was er in eigener Seele als Begriff erleben kann, auch von einem fremden Wesen offenbarend empfangen. Durch die Wahrnehmung des Begriffes taucht man noch tiefer in das Innere eines Wesens als durch die Lautwahrnehmung. Ein noch weiter gehendes Untertauchen in ein anderes Wesen als bis zur Empfindung dessen, was in ihm als Begriff lebt, ist nicht auf sinnenfällige Art möglich. Der Begriffssinn erscheint als derjenige, der in das Innerlichste eines Außenwesens dringt. Der Mensch nimmt mit dem Begriffe, der in einem anderen Menschen lebt, dasjenige wahr, was in ihm selbst seelenhaft lebt.

 Nicht in derselben Art, wie bei den zehn angeführten Sinnen, erscheint der Sinnescharakter bei dem, was man gewöhnlich den Tastsinn nennt. Dieser vermittelt äußeren Druck, Widerstand, Härte, Weichheit. Man vergegenwärtige sich das Wesen dessen, was man als ›Druck‹ bezeichnet. Der Vorgang ist keineswegs ein durchaus einfacher. Man nimmt in Wirklichkeit nicht den drückenden Körper unmittelbar wahr, sondern die Tatsache, daß man durch ihn veranlaßt wird, mit dieser oder jener Stelle der Haut zurückzuweichen, oder daß man eine mehr oder weniger große Anstrengung machen muß, um auf den Körper einen Eindruck zu machen. Es gibt einen bemerkenswerten Unterschied zwischen dieser Wahrnehmung und derjenigen z. B. eines Wärmegrades, der sich an einem Körper offenbart. Wenn es auch durchaus richtig ist, daß einem selbst erhitzten Menschen ein kaltes Bad in einem anderen Wärmezustand erscheinen wird als einem frierenden, daß also in der Wahrnehmung der Wärme der subjektive Zustand gleichsam mitwahrgenommen wird, so bleibt es doch richtig, daß im wesentlichen sich in der Wärme die Beschaffenheit des äußeren Gegenstandes offenbart. Das ergibt ein unmittelbares Verhältnis des empfindenden Menschen zu dem, wie der Gegenstand ist. So ist es nicht, wenn man sich sagt, man muß sich stärker oder schwächer anstrengen, um einen Eindruck auf einen Körper zu machen, oder den Widerstand zu überwinden, den er durch seine Härte oder Weichheit darbietet. Was man sich da sagt, ist die Wiedergabe eines Erlebnisses, das man in sich selbst hat an dem Körper. Und wenn sich auch der Tatbestand verbirgt, so ist es doch richtig, daß bei solcher Wahrnehmung das Urteil gleichsam im geheimen mitspielt: »ich finde starken Widerstand, also ist der Körper hart.« So wahr es ist, daß z. B. beim Sprachsinn die Wahrnehmung eine ganz unmittelbare ohne alle Urteilstätigkeit sein kann, so wahr ist es auch, daß beim Tastsinn immer ein, wenn auch noch so sehr verborgenes Urteil zugrunde liegt. Was unmittelbar beim Tastsinn empfunden wird, das kann immer innerhalb der Gebiete der drei zuerst hier aufgezählten Sinne gefunden werden. Ein Körper, der auf mich drückt, verursacht z. B. eine Lageverschiebung innerhalb meiner Leiblichkeit; diese wird durch den Lebens-, oder den Eigenbewegungs-, oder den Gleichgewichtssinn wahrgenommen.

Es ist notwendig, den Unterschied der einzelnen Sinnesgebiete genau festzuhalten. Bei jedem Sinn ist das Verhältnis, in das der Mensch zu einem äußeren Gegenstande tritt, ein anderes als bei den übrigen Sinnen. Durch den Lebenssinn, den Eigenbewegungssinn, den Gleichgewichtssinn taucht der Mensch in die eigene Leiblichkeit unter und empfindet sich als ein Wesen der Außenwelt. Durch den Geruchssinn, den Geschmackssinn, den Gesichtssinn offenbart sich das Körperliche, insofern es sich nach außen hin kundgibt. Durch den Wärmesinn offenbart es die Innerlichkeit, doch noch in einer äußeren Art. Mit Hilfe des Gehörsinnes, des Sprachsinnes, des Begriffssinnes nimmt der Mensch eine fremde, ihm äußere Innerlichkeit wahr. Wenn man diese Unterschiede der Sinnesgebiete beachtet, dann wird man nicht versucht sein, zu viel im allgemeinen davon zu reden, was ein Sinn, sinnliche Wahrnehmung usw. ist. Man wird vielmehr achten auf das besondere Verhältnis, in das der Mensch durch einen jeden Sinn zu der Außenwelt tritt. Es ist nicht viel damit gesagt, daß man Sinnesempfindung z. B. charakterisiert als einen Eindruck, der unmittelbar durch einen Reiz des Sinnesnerven in der Seele hervorgerufen wird. Durch solche Definitionen kann man nur allzuleicht das Charakteristische jedes einzelnen Sinnes in verschwommenen Allgemeinvorstellungen verlieren. Es kommt aber darauf an, daß der Eindruck, den man von dem Wärmezustand eines Körpers erlebt, ganz anderer Art ist als derjenige, den ein Lichteindruck hervorruft. Wenn man dieses nicht berücksichtigt, so wird man z. B. leicht verführt, auf Urteile viel zu großen Wert zu legen, wie dieses: »Der Mensch nimmt die Außenwelt durch die Sinne wahr und bildet sich auf Grund der Sinneswahrnehmungen Vorstellungen und Begriffe.« Man setzt da die Sinneswahrnehmung dem begrifflichen Denken einfach gegenüber. Man trübt sich mit einem solchen Urteile den notwendigen freien Ausblick auf die Tatsache, daß z. B. die Geruchsempfindung sehr ferne dem Begriffserlebnis steht, daß aber der Gehörsinn als Sinneswahrnehmung sich schon dem annähert, was im Innern der Seele als solches Erlebnis vorhanden ist.

    

bottom of page