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III. Die Welt, welche den Sinnen zugrunde liegt

In den Sinneswahrnehmungen ist die Grundlage des weiteren Seelenlebens gegeben. Auf Grund der Empfindungen der drei ersten Sinne, ferner der Gerüche, Geschmäcke, Farben, Töne usw. entstehen aus dem Zusammenleben des Menschen mit der Außenwelt die Vorstellungen, durch die sich in der Seele widerspiegelt, was von außen gegeben ist. Es entstehen die Urteile, durch die sich der Mensch innerhalb dieser Außenwelt orientiert. Es bilden sich die Erlebnisse von Sympathie oder Antipathie, in denen sich das Gefühlsleben gestaltet; es entwickeln sich die Wünsche, Begierden, das Wollen. Will man ein Kennzeichen für dieses Innenleben der menschlichen Seele haben, so muß man die Aufmerksamkeit darauf richten, wie es zusammengehalten und gleichsam durchdrungen wird von dem, was man sein eigenes ›Ich‹ nennt. Eine Sinneswahrnehmung wird zum Seelenerlebnis, wenn sie aus dem Gebiete des Sinnes aufgenommen wird in den Bereich des ›Ich‹. Man kann eine gerechtfertigte Vorstellung von diesem Tatbestande erhalten, wenn man die folgende einfache Überlegung anstellt. Man empfindet z. B. die Wärme eines gewissen Gegenstandes. So lange man den Gegenstand berührt, ist eine Wechselbeziehung zwischen dem ›Ich‹ und der Außenwelt vorhanden. In diesem Wechselverhältnis bildet sich im ›Ich‹ die Vorstellung des Wärmezustandes des betreffenden Gegenstandes. Entfernt man die Hand von dem Gegenstande, so bleibt in dem ›Ich‹ die Vorstellung zurück. Diese bildet nun etwas Wesenhaftes innerhalb des Seelenlebens. Man soll nicht versäumen, zu bemerken, daß die Vorstellung dasjenige ist, was sich von dem Sinneserlebnis loslöst und in der Seele weiterlebt. – Innerhalb gewisser Grenzen kann nun der Mensch die Erlebnisse, die er mit Hilfe der Sinne macht, und welche sich dann in der Seele fortsetzen, seine Welt nennen.

Wer nun aber darüber nachsinnt, wie diese Welt in seinen Bereich tritt, der wird sich gezwungen sehen, für diese Welt ein anderes Dasein vorauszusetzen. Denn wodurch kann diese Welt nur Seelenerlebnis sein; wodurch kann der Mensch etwas von ihr wissen? Lediglich dadurch, daß er Sinne hat. Bevor die Welt als Sinneswahrnehmung sich vor den Menschen hinstellt, müssen diese Sinne selbst erst aus ihr herausgeboren sein. Die Welt wäre für den Menschen tonlos, wenn er keinen Gehörsinn, sie wäre wärmelos, wenn er keinen Wärmesinn hätte. So richtig dieses ist, so klar ist aber auch das andere, daß in einer Welt, in welcher es nichts zu hören gäbe, kein Gehörsinn entstehen könnte; in einer wärmelosen Welt bildete sich kein Wärmesinn. Man braucht nur daran zu denken, wie bei Wesen, die im Finstern leben, sich keine Augen entwickeln; oder wie bei Wesen, die unter dem Einfluß des Lichtes Augen entwickelt haben, diese in Verkümmerung übergehen, wenn ihre Träger den Aufenthalt im Licht mit einem solchen im Finstern vertauschen. – Man braucht nichts weiteres, als dieses in voller Klarheit durchzudenken, um sich zu sagen, derjenigen Welt, welche dem Menschen durch seine Sinne gegeben ist, und auf welche er sein Seelenleben aufbaut, muß eine andere Welt zum Grunde liegen, welche diese Sinneswelt selbst erst dadurch möglich macht, daß sie die Sinne aus sich heraus entstehen läßt. Und diese Welt kann nicht in das Gebiet der sinnenfälligen fallen, da sie ihr ganz und gar vorangehen muß.

So wird der Ausblick für das Nachsinnen eröffnet auf eine hinter der Sinnenwelt liegende andere Welt, die nicht selbst sinnlich wahrgenommen werden kann, aus welcher sich aber die Sinnenwelt wie aus einem hinter ihr liegenden Daseinsmeer erhebt. Der Wärmesinn nimmt die Wärme wahr; dahinter liegt etwas, was den Wärmesinn gebildet hat. Das Auge nimmt durch das Licht wahr; dahinter liegt etwas, was das Auge gestaltet. Man muß unterscheiden zwischen einer Welt, wie sie dem Menschen durch die Sinne gegeben ist, und einer solchen, welche dieser zugrunde liegt. – Kann man denn nun über diese letztere Welt gar nichts aus dem bloßen Nachsinnen heraus sagen? Man kann etwas sagen, wenn man das folgende bedenkt. Durch das Wechselverhältnis des Menschen mit der Außenwelt, wie es in der Sinneswahrnehmung sich vermittelt, entsteht innerhalb des Menschen die Vorstellungs-, Gefühls- und Begierdenwelt. Ganz so kann man denken über das Verhältnis der vorausgesetzten anderen Welt zum Menschen. Durch sie entstehen in ihm die Organe der Sinneswahrnehmungen. Bei allem, was sich in der Sinnenwelt erleben läßt, ist der Mensch mit seinem ›Ich‹ dabei, in welchem sich auf Grund der Sinneserlebnisse die Seelenwelt aufbaut. Der aller Sinneswahrnehmung notwendig vorausgehende Aufbau der Sinnesorgane muß in einem Wirklichkeitsgebiet geschehen, in welches keine Sinneswahrnehmung mehr dringen kann. (Kaum gedacht zu werden braucht wohl des Einwandes, der jemandem flüchtig einfallen könnte, daß doch der Mensch den Aufbau der Sinnesorgane an einem anderen Wesen beobachten könnte. Was er da wahrnehmen kann, nimmt er ja eben durch die Sinne wahr. Man kann wohl beobachten, wie ein Hammer entsteht, ohne sich dabei eines Hammers zu bedienen; nicht aber kann man sinnenfällig beobachten, wie ein Sinnesorgan entsteht, ohne sich eines solchen zu bedienen.)

Es ist ganz berechtigt, davon zu sprechen, daß die Sinnesorgane aus einer Welt aufgebaut sein müssen, die selbst übersinnlich ist. Und die geschilderte Wesenheit der Sinneswahrnehmungen gibt dem Nachsinnen Anhaltspunkte, weiteres über diese Welt zu sagen. Da die Sinnesorgane zuletzt als das Ergebnis der Tätigkeit dieser Welt erscheinen, so kann man davon sprechen, daß diese Tätigkeit eine mannigfaltige ist. Gleichsam von ebensovielen Seiten her wirkt sie auf den Menschen, als Sinnesorgane vorhanden sind. Es ergießen sich die Strömungen dieser Welt in jene Brunnen, die in den Sinnesorganen liegen, so daß der Mensch aus diesen Brunnen für sein Seelenleben schöpfen kann. Und weil dasjenige, was aus diesen Brunnen geschöpft wird, zuletzt sich in dem ›Ich‹ zusammenfindet, so muß es, obwohl es von verschiedenen Seiten her kommt, doch ursprünglich einem einheitlich in sich Wirkenden entströmen. In dem ›Ich‹ fügen sich die verschiedenen Sinneswahrnehmungen zu einer Einheit zusammen. Sie stellen sich in dieser Einheit als zusammengehörig dar. – Was an die Seele in den Sinneswahrnehmungen anschlägt, das ist so, daß sich das innere Leben des Ich davon loslösen läßt. Daraus ist ersichtlich, daß es hinter der sinnenfälligen Welt in einer übersinnlichen ebensoviele Tätigkeitsquellen gibt, als Sinnesorgane vorhanden sind. Diese Tätigkeitsquellen offenbaren sich eben durch ihre Wirkung, welche im Aufbau der Sinnesorgane besteht.

Das Bereich dieser Tätigkeitsquellen umfaßt also eine Zahl dieser Quellen, die gleich ist der Zahl der Sinnesorgane. Und man kann sagen, daß die äußersten Grenzen dieses Bereiches durch das ›Ich‹ einerseits und den ›Tastsinn‹ anderseits vorausgesetzt werden dürfen, obwohl der Tastsinn ebensowenig wie das ›Ich‹ zum eigentlichen Sinnesleben gezählt werden dürfen. Was einmal dem ›Ich‹ angehört, hat sich von der Sinneswahrnehmung losgelöst, darf also, weil es ganz inneres Erlebnis ist, nicht mehr zu dieser gezählt werden. Doch aber gehört es zum Wesenhaften jeder Sinneswahrnehmung, daß sie Ich-Erlebnis werden kann. Es muß dazu also jedes Sinnesorgan aus der übersinnlichen Welt heraus veranlagt sein, daß es etwas liefert, was Ich-Erlebnis werden kann. – Und der Tastsinn liefert gewissermaßen Erlebnisse von der entgegengesetzten Art. Was durch ihn über einen Gegenstand ausgesagt wird, stellt sich als etwas dar, was ganz außerhalb des Menschen liegt. Es muß also der Mensch als Ganzes aus der übersinnlichen Welt heraus so aufgebaut sein, daß er auf Grund der Tasterlebnisse sich eine außer ihm liegende Welt gegenüberstellt.

Wenn man das menschliche Seelenleben überblickt, wie es sich auf Grund der Sinneserlebnisse herausbildet, so erscheinen die Sinnesorgane als feste Punkte, wie in einem Umkreis; und das ›Ich‹ erscheint als das Bewegliche, das in verschiedenartigem Durchlaufen dieses Umkreises die Seelenerlebnisse gewinnt. Dieser ganze Bau des menschlichen Organismus, insofern er sich in den Sinnesorganen ausprägt, deutet hin auf seine Ursachen in der übersinnlichen Welt. So viele Sinnesgebiete, so viele solche Ursachen; und innerhalb des Bereiches dieser Ursachen ein einheitliches übersinnliches Prinzip, das in der Hinorganisierung auf die Ich-Einheit sich andeutet.

Eine weitere Betrachtung zeigt, daß die übersinnliche Tätigkeit, welche sich in dem Bau der Sinnesorgane offenbart, in verschiedenartiger Weise wirkt. In den drei Gebieten des Lebenssinnes, des Eigenbewegungssinnes, des Gleichgewichtssinnes geht die Wirkung von dem Innern der menschlichen Leiblichkeit aus und offenbart sich bis zu den Grenzen der Haut. Bei Geruchs-, Geschmacks-, Gesichts-, Wärme- und Gehörsinn ist diese Art von Tätigkeit ebenfalls vorhanden; doch wirkt mit ihr zusammen eine andere, welcher man die Richtung von außen nach dem Innern der Leiblichkeit zuschreiben muß. Das Gehörorgan z. B. ist ein Glied des menschlichen Organismus. Innerhalb dieses Organismus müssen die Kräfte wirksam sein, die dem Wesen des Gesamtleibes entsprechend dieses Organ gestalten. Von außen aber müssen entgegenkommen die in der Tonwelt verborgenen übersinnlichen Kräfte, welche dieses Organ gerade so ausbilden, daß es für den Ton empfänglich ist. Bei den genannten fünf Sinnesorganen ist also eine Begegnung von Kräften gleichsam an der Oberfläche des menschlichen Leibes angedeutet: es wirken Kräfte in der Richtung vom Innern des Leibes nach außen und gestalten die einzelnen Sinnesorgane dem Wesen des Gesamtorganismus entsprechend; die ihnen entgegenkommenden Kräfte wirken von außen nach innen und prägen die Organe in den Leib so hinein, daß sie sich den verschiedenen Äußerungen der Außenwelt anpassen. Bei Lebens-, Eigenbewegungs- und Gleichgewichtssinn ist nur die eine dieser beiden Richtungen, die von innen nach außen strebende vorhanden. – Es ergibt sich weiter, daß bei Sprach- und Begriffssinn die Richtung von innen nach außen wegfällt, und daß diese Sinne von außen nach innen in den Menschen hineingebaut werden. Für sie also offenbart sich die charakterisierte übersinnliche Tätigkeit so, daß sie sich dem inneren Seelenleben schon nähert in bezug auf ihre Gestaltung. Insofern man nun das ›Ich‹ in der oben charakterisierten Art auch schon in den übersinnlichen Kräften, welche den Sinnesaufbau besorgen, veranlagt sehen muß, kann man sagen, daß im ›Ich‹ diese Kräfte am meisten ihre Eigennatur verraten. Nur ist gleichsam in dem ›Ich‹ diese Eigennatur auf einen Punkt zusammengeschrumpft. Betrachtet man das ›Ich‹, so zeigt es in einem Punkte eine Wesenhaftigkeit, welche in reichster Fülle ausgebreitet in einer übersinnlichen Welt ruht und sich aus dieser heraus nur in ihren Wirkungen, in dem Aufbau der Sinne offenbart. Der Tastsinn ergibt sich auch in dieser Beziehung als der Gegensatz des ›Ich‹. In dem Tastsinn offenbart sich dasjenige der übersinnlichen – oder wenn man will, außerübersinnlichen – Welt, was nicht Innenerlebnis des Menschen werden kann, sondern durch ihm entsprechende innere Erlebnisse erschlossen wird.

Als sinnenfällige Erscheinungen beschreibt die Anthropologie die Sinnesorgane. Es entspricht nun gut den eben angeführten Ergebnissen, daß sie für Lebenssinn, Eigenbewegungssinn und Gleichgewichtssinn noch nicht besondere Organe bezeichnet. Die gekennzeichneten von innen nach außen wirkenden Kräfte gestalten eben den Menschen als allgemeinen, sich selbst erlebenden und sich haltenden Sinnesorganismus. Es breiten sich gewissermaßen die Organe dieser drei Sinnesgebiete in der allgemeinen Leiblichkeit aus. Erst beim Gleichgewichtssinn wird von der Anthropologie auf die drei halb-zirkelförmigen Kanäle hingewiesen, als Andeutung eines besonderen Sinnesorganes, weil mit diesem Sinn der Mensch in ein elementares Verhältnis zur Außenwelt tritt, nämlich zu den Raumrichtungen. Für die fünf mittleren Sinne gibt es abgesonderte Organe, welchen leicht anzuerkennen ist, daß an ihrer Bildung die gekennzeichneten Fähigkeiten von außen nach innen und von innen nach außen in mannigfaltiger Art zusammenwirken. (Wenn es auch in bezug auf den Wärmesinn für die Anthropologie noch manche Zweifel über das äußere Sinnesorgan gibt, so werden sich diese Zweifel mit fortschreitender Wissenschaft schon lösen.) Für Laut- und Begriffssinn können äußere Organe aus dem Grunde nicht in der gleichen Art wie für die anderen Sinne beschrieben werden, weil diese Organe bereits da liegen, wo das leibliche Leben sich in das seelische verinnerlicht. Das Organ des Tastsinnes aber wird sich der Wissenschaft immer mehr als das ergeben, was es im Sinne der obigen Betrachtungen sein muß. Es muß so wirken, daß der Mensch in den berührten Gegenständen sich gewissermaßen in sich zurückzieht, sich in inneren Leibeserlebnissen verschließt vor den Gebieten dieses Sinnes. Man wird also in den über die ganze Leibesoberfläche ausgebreiteten Gebilden, welche man als Tastorgane ansieht, etwas anerkennen müssen, was im wesentlichen mit einem Zurückziehen der Leibesoberfläche von der berührten Außenwelt zu tun hat. Die Tastorgane sind also eigentlich gestaltend für das Innere der menschlichen Leibesform; sie geben dem Leibe die Gestalt, durch welche er sich in sich abschließt von der ihn von allen Seiten berührenden Außenwelt. (An den Stellen, an welchen die Tastorgane eine größere Empfindlichkeit zeigen, verhält sich der Mensch anders zur Außenwelt als an den Stellen von geringerer Empfindlichkeit. Er schiebt sich in dem einen oder anderen Falle gleichsam mehr oder weniger vor gegen die Außenwelt. Man merkt daraus, daß die Leibesgestalt in gewisser Beziehung ein Ergebnis ist der Eigenart des Tastorganes an den verschiedenen Stellen der Leibesoberfläche.)

   

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