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Achtes Bild

 

(Derselbe Saal wie im vorigen Bilde. Der erste Praeceptor, Joseph Kühne, dann der Großmeister mit Simon, später der erste und der zweite Ceremonienmeister. Joseph Kühne ist zuerst da; der Praeceptor tritt zu ihm.)

 

Der erste Praeceptor:

 Ihr wünschtet mich zu sprechen.

Was habt Ihr mir zu sagen?

Joseph Kühne:

Bedeutsam ist für Euch und mich,

was mich hierher getrieben hat.

Ihr kennt den Bergmeister Thomas?

 Er steht bei euch in Euren Diensten.

Der erste Praeceptor:

Wohl kenne ich den wackern Mann,

wir schätzen seine kluge Leistung;

und alle Menschen lieben ihn,

die seiner Führung unterstellt.

Joseph Kühne:

 Und wohl auch Cilli, meine Tochter, kennt Ihr?

Der erste Praeceptor (bewegt):

Ich habe sie gesehn,

wenn ich mit Euren Leuten Euch begegnet.

Joseph Kühne:

Es traf sich, daß wir Thomas

recht oft in unserm Hause sahn,

 schon bald, nachdem er zugereist.

Er kam dann immer öfter.

Wir sahen, daß er bald zu unsrer Cilli  

die tiefste Neigung faßte.

Das war uns nicht gerade sonderbar.

 Doch wollten wir bei Cillis Wesen

an Gegenliebe lange Zeit nicht denken.

Sie lebte stets nur im Gebet

und floh fast aller Menschen Umgang.

Doch zeigt es sich stets klarer,

 daß sie aus vollen Herzen

dem fremden Mann ergeben ist.

Und wie die Dinge stehen,

sind wir gezwungen, unsres Kindes Wunsch

uns nicht zu widersetzen,

 das Thomas in die Ehe folgen will.

I. Praeceptor (mit unsichern Gebärden):

Warum ist diese Ehe wider Euren Willen?

Joseph Kühne:

Mein hoher Herr, Ihr wißt,

wie treu ergeben ich dem Geist des Bundes hin.

Nur schweren Herzens konnte ich ertragen,

 daß meine Tochter ihre ganze Liebe

nach jener Seite hat gewandt,

die Euch und mich der Ketzerei beschuldigt.

Der Mönch, der unsres Nachbarklosters Haupt jetzt ist,

und der des Bundes Ziele stets bekämpft,

 er hat die Seele unsrer Tochter ganz erobert.

So lange sie in meinem Hause ist,

wird mir die Hoffnung niemals schwinden,

daß sie den Weg zurück muß finden

aus Geistesfinsternis zum Licht.

 Doch muß ich sie verloren geben,

ist sie des Mannes Frau geworden,

der gleich ihr selbst das Menschenheil

im Sinnes jenes Mönches sucht.

Es ist dem Pater ganz gelungen,

 die Meinung, die er selber hat,

dem Thomas auch als Glauben aufzudrängen.

Nur schaudernd konnt’ ich inner hören  

die Flüche, die aus Thomas’ Munde flossen,

wenn auf den Bund die Rede kam.

I. Praeceptor:

 Wie haben viele Feinde,

und wenig kann es nur bedeuten,

daß ihre Zahl um Einen sich vermehrt.

Mir leuchtet nicht aus Euren Worten ein,

was ich mit diesem Ehebund zu tun kann haben.

Joseph Kühne:

 Mein hoher Herr, Ihr seht dies Bündel – ‒.

sein Inhalt birgt mir sichre Zeugnisse.

Nur ich und meine Frau, wir lasen ihn bisher.

sonst war er hierzulande allen unbekannt.

Er muß in diesem Augenblicke

 Auch Euch vertraut nun werden.

Das Mädchen, das als unsre Tochter gilt,

ist mein und meines Weibes Sprosse nicht.

Wir haben dieses Kind in Pflege übernommen,

als seine Mutter ihm gestorben war.

 Ich glaube, daß, was Ihr noch weiter hören sollt,

es nötig nicht erscheinen lassen wird,

zu sagen, wie dies alles so gekommen ist.

Wir kannten unsres Pfleglings Vater lange nicht,

und Cilli kennt noch heute ihren wahren Ursprung nicht.

 Sie sieht in uns die wahren Eltern.

Es hätte immer so auch bleiben können;

denn lieb ist uns das Kind wie unser eignes.

Es wurden viele Jahre nach der Mutter Tod

uns diese Schriften zugebracht, die Klarheit geben,

 wer unsres Pflegekindes Vater ist.

(Der Praeceptor wird vollends unsicher.)

Ich weiß nicht, ob er Euch bekannt;

doch mir ist nun gewiß – ‒

‒ ‒ ‒ – daß Ihr es selber seid.

Ich brauche Euch wohl mehr zu sagen nicht.

 Doch da es sich um Euer Blut hier handelt,

so bitt’ ich Euch um Euren Beistand.  

Vielleicht gelingt es uns zusammen,

das Mädchen vor der Finsternis zu retten.

I. Praeceptor:

Mein lieber Kühne, Ihr erwieset Euch stets treu.

 Ich möcht’ auf Euch auch weiter gerne zählen können.

Es wird doch in und außer diesen Mauern,

in dieser Gegend niemand hören,

wie ich zu diesem Mädchen stehe?

Joseph Kühne:

Dafür verbürg’ ich Euch mein Wort.

 Ich werde Euch nicht schaden.

Ich bitte nur um eure Hilfe.

I. Praeceptor:

Begreift, daß ich Euch dieses Mal

nicht länger Rede stehen kann.

Ich bitte Euch, mich morgen anzuhören.

Joseph Kühne:

 Ich werde kommen – ‒ ‒ ‒ ‒ ‒.

(Kühne geht ab.)

Der I. Praeceptor (allein):

Wie grausam sich mein Schicksal doch erfüllt!

Im Elend ließ ich Weib und Kind,

weil ich als Fesseln sie empfand.

Die Wege, welche mir die Eitelkeit gezeigt,

 sie führten mich in diesen Geistesbund.

Ich habe mit den Worten, die erhaben klingen,

dem Werk der Menschenliebe mich verpflichtet.

Ich konnte dies, mit jener Schuld beladen,

die aus der Liebe Gegenteil entsprungen.

 Des Bundes weise Menschenführung,

sie hat an mir sich klar gezeigt.

Er hat in seine Mitte mich genommen

und seine strengen Regeln mir gegeben.

Ich sah zur Selbsterkenntnis mich gezwungen,

 die wohl auf andern Lebenspfaden

mir ferne hätte bleiben müssen.

Als dann durch Schicksalsfügung  

der Sohn in meine Nähe kam,

vermeinte ich, daß hohe Mächte mitleidvoll

 den Weg zur Sühne mich erkennen ließen.

Ich wußte längst, daß Kühnes Pflegekind

die Tochter ist, die ich verlassen habe.

‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒

Dem Bunde steht der Untergang bevor,

Die Brüder werden sich dem Tode weihn,

 bewußt sich, daß die Ziele leben werden,

für welche sie das Leben opfern.

Ich fühle nun seit lange schon,

daß ich nicht würdig eines solchen Todes bin.

So reifte nur der Vorsatz immer mehr,

 dem Meister meine Lage zu enthüllen,

ihn bittend, mir den Austritt zu gewähren.

Ich wollte dann mich meinen Kindern widmen,

um so in diesem Erdenleben noch

zu bringen jene Sühne, die mir möglich ist.

 Ich seh’ es klar, den Sohn hat nicht

die Sehnsucht nach dem Vater hergeführt;

das hat sein gutes Herz geglaubt.

Ihn führten seines Blutes Kräfte,

die mit der Schwester ihn verbinden.

 Gelockert durch des Vaters Unrecht

erwiesen sich die alten Blutesbande.

Sonst hätte jener Mönch es nicht vermocht

ihn mir so ganz zu rauben.

Es ist der Raub so gut gelungen,

 daß mit dem Bruder nun die Schwester auch

dem Vater sich entfremden wird.

So bleibt mir weiter nichts zu tun,

als jetzt zu sorgen, daß die Kinder

den wahren Sachverhalt erfahren,

 und dann die Sühne in Ergebenheit

von jenen Mächten zu erwarten,

die unsres Lebens Schuldbuch führen. –

(Praeceptor geht ab.)

* * *  

 (Es treten nach einer Pause in den Saal der Großmeister und Simon.)

Großmeister:

Ihr müßt fortan im Schlosse bleiben, Simon.

Seit man das Märchen von der Zauberei

 verbreitet hat, wär’ jeder Schritt gefährlich,

den Ihr in dieser Gegend machen wolltet.

Der Jude:

Es macht mir wahrlich großen Schmerz, zu wissen,

daß Menschen sich durch ihren Unverstand

der Hilfeleistung feindlich zeigen können,

 die ihrem eignen Wohle dienen soll.

Großmeister:

Wer durch die Gnade hoher Geistesmächte

die Blicke werden darf in Menschenseelen,

der schaut die Feinde, die, in ihnen selbst,

sich ihrem eignen Wesen widersetzen.

 Der Kampf, den unsre Gegner uns bereiten,

ist nur ein Bild des großen Krieges,

den eine Macht im Herzen unaufhörlich

aus Feindschaft gegen andre führen muß.

Der Jude:

Mein hoher Herr, Ihr sprechet jetzt ein Wort,

 das mich in tiefster Seele treffen muß.

Ich bin zum Träumer wahrlich nicht geboren;

doch wenn ich einsam Feld und Wald durchwandle,

da tritt vor meine Seele oft ein Bild,

das ich so wenig mit dem Willen meistre,

 wie jene Dinge, welche Augen schauen.

Es stellt sich vor mich hin ein Meschenwesen,

das seine Hand mir liebend reichen will.

In seinen Zügen drückt ein Schmerz sich aus,

den ich in keinem Antlitz noch gesehn.

 Die Größe und die Schönheit dieses Menschen

ergreifen alle meine Seelenkräfte;

ich möchte niedersinken, und in Demut

ergeben mich dem Boten andrer Welten. – ‒

Da flammt im nächsten Augenblicke schon  

 ein wilder Zorn in meinem Herzen auf.

Ich kann dem Trieb in mir nicht widerstehn,

der meiner Seele Widerstand entfacht ‒ –,

und von mir stoßen muß ich jene Hand,

die sich so liebend mir entgegenhält.

 Sobald Besonnenheit mir wiederkehrt,

ist schon die Lichtgestalt von mir gewichen.

Wenn ich mir dann im Denken wiederhole,

was sich mir oft im Geiste vorgestellt,

dann tritt mir der Gedanke vor die Seele,

 der mich im tiefsten Herzen kann erschüttern.

Zu euren Lehren fühl’ ich mich gezogen,

die von dem Geisteswesen offenbaren,

das aus dem Sonnenreiche niederstieg,

und durch des Menschen Sinnenform erscheinend,

 begreiflich wollte Menschenherzen werden;

verschließen kann ich mich der Schönheit nicht,

die eurer edlen Lehren eigen ist;

und kann ihr doch die Seele nicht ergeben.

Ich muß des Menschenwesens Urgestalt

 in eurem Geisteswesen wohl erkennen;

doch hält mich trotzig ab mein Eigenwesen,

wenn ich mich gläubig an sie wenden will.

So muß ich in mir selbst der Krieg erleben,

der aller äußern Kämpfe Urbild ist.

 Mich ängstigt oft die schwere Rätselfrage,

die meines ganzen Lebens Schicksal trifft:

Wie soll ich fassen, daß ich euch verstehn,

doch nicht im Glauben mich ergeben kann

dem Inhalt eurer edlen Offenbarung?

 Ich folge treu dem Vorbild, das Ihr gebt,

und bin im Widerspruch mit allem doch,

was Ziel und Ursprung meines Vorbilds ist.

Und wenn ich so mich selbst erkennen muß,

so übertönt der Zweifel jeden Glauben,

 in diesem Erdensein mich selbst zu finden.

Und oft sogar erfüllt mich Furcht und Sorge,  

es könnte dieses Zweifels wirrer Rest

durch meine künft’gen Erdenleben ziehen.

Großmeister:

Das Bild, das du geschaut, mein lieber Simon,

 es stand vor meinem Geist in vollem Licht,

als du es mir in Worten lebhaft maltest.

Und während du dann weiter zu mir sprachst,

erweitert’ sich das Bild vor meinem Blick;

und ich vermochte Dinge zu erschauen,

 die Weltenziel und Menschenschicksal binden.

(Der Großmeister und Simon gehen ab.)

* * *

(Es treten nach einer Pause die beiden Ceremonienmeister in den Saal.)

I. Ceremonienmeister:

Ich muß dir frei gestehen, lieber Bruder,

daß unverständlich unsres Hauptes Milde

mir oft erscheint, wenn ich erblicken muß,

wie stark das Unrecht unsrer Gegner ist.

 Sie wollen unsre Lehren nicht erfahren,

die sie als Ketzerei und Teufelswerk

den Menschen grausig vor die Seelen malen.

‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒

II. Ceremonienmeister:

Des Meisters Milde fließt aus unsern Lehren.

Wir dürfen nicht als höchstes Lebensziel

 Verständnis aller Menschenseelen künden,

und unsre Gegner selbst doch mißverstehen.

Es sind in ihrer Mitte viele Menschen,

die wahrhaft nach dem Vorbild Christi leben.

Verschlossen bleiben müßte ihren Seelen

 auch dann noch unsrer Lehre tiefster Sinn,

wenn sie mit äußrem Ohr ihn hören wollten.

Bedenke, lieber Bruder, wie du selbst

mit innerm Widerstreben, zaghaft nur,

dem Geistgehör dich hast erschließen wollen.

 Wir wissen aus des Meisters Offenbarung,

wie künftig Menschen durch das Geisteslicht  

das hohe Sonnenwesen schauen werden,

das einmal nur im Erdenleibe wohnte.

Wir glauben freudig an die Offenbarung,

 weil wir vertrauensvoll den Führern folgen.

Doch sprach vor kurzer Zeit bedeutungsvoll

der Mann, in dem wir unser Haupt erkennen:

»Es müssen langsam eure Seelen reifen,

wenn ihr schon jetzt prophetisch schauen wollt,

 was sich den Menschen künftig zeigen wird. –

Ihr sollt nicht glauben, ‒ sprach der Meister ferner, ‒

Daß schon nach eurer ersten Seelenprüfung

dies Vorgesicht der Zukunft euch erscheint.

Auch wenn euch Sicherheit bereits gewährt,

 daß alles Menschenleben wiederkehrt,

so tritt die zweite Prüfung erst an euch heran,

die eurem Eigenwahn die Fesseln löst,

so daß er euch das Geisteslicht verdirbt.«

Und auch die ernste Mahnung gab der Meister:

 »Erforscht in stillsten Andachtsstunden oft,

wie dieser Wahn, als Seelenungeheuer,

gefährlich wird dem Pfad des Geistessuchers.

Wer ihm verfällt, der möchte Menschensein

auch dort erblicken, wo der Geist allein

 dem Geisteslicht sich offenbaren will.

Wenn ihr euch würdig wollet vorbereiten,

das Weisheitslicht von Christi Wesenheit

in euer Seelenauge aufzunehmen,

so müsset ihr euch sorgsam selbst bewachen,

 daß Eigenwahn euch nicht befallen mag,

wenn eure Seele ihn am fernsten glaubt.«

Wenn wir dies Wort uns klar vor Augen stellen,

wird uns die falsche Meinung bald verlassen,

daß wir in unsrer Zeit in leichter Art

 die hohen Lehren überliefern können,

zu denen unsre Seelen sich bekennen.

Beglückend müssen wir schon dies empfinden,

daß wir so manche Seele treffen können,  

die schon in diesen Tagen unbewußt

 dem Keim empfängt für künft’ge Erdenleben.

Und dieser Keim, er kann im Menschen erst

als Gegner jener Mächte sich erweisen,

zu denen er sich später wenden will.

Ich kann in vielem Hass, der uns verfolgt,

 den Samen spätrer Liebe nur entdecken.

I. Ceremonienmeister:

Es ist gewiß, daß höchster Wahrheit Ziel

sich nur in solchen Worten kann erschließen;

doch schwer erscheint es, schon in diesen Tagen,

das Dasein ganz in ihrem Sinn zu lenken.

II. Ceremonienmeister:

 Auch darin folg’ ich meines Meisters Worten.

Es ist der ganzen Menschheit nicht verliehn,

der Erden Zukunftsein voraus zu leben.

Doch müssen solche Menschen stets sich finden,

die spätrer Tage Wesen schauen können,

 und die ihr Fühlen jenen Kräften weihn,

die alles Sein der Gegenwart entreißen

und für die Ewigkeit bewahren wollen.

(Vorhang fällt, während die beiden Ceremonienmeister noch im Saale sind.)  

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