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XII

Ueber die Gestaltung der Zweigabende.

Es wird seit einiger Zeit innerhalb der Mitgliedschaft viel darüber verhandelt, ob in den Zweigversammlungen es Regel sein soll, die vorhandene anthroposophische Literatur durch Vorlesen und Besprechen zur allgemeinen Kenntnis innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft zu bringen, oder ob der freie Vortrag über dasjenige, was einzelne tätig sein wollende Mitglieder zu sagen haben, zu bevorzugen sei.

Wer sich auf die Bedingungen der anthroposophischen Arbeit besinnt, dem sollte ohne weiteres klar sein, dass nicht einseitig die eine oder die andere dieser Tätigkeitsrichtungen, sondern nach den vorhandenen Möglichkeiten beide gepflegt werden müssen. In der anthroposophischen Literatur liegt dasjenige vor, was die Menschen in die Gesellschaft hereinführt. Sie ist dazu bestimmt, die Grundlage im Wirken der Gesellschaft zu bilden. Sie wird, wenn sie durch die Zweigversammlungen zur Kenntnis der Mitglieder gebracht wird, den einheitlichen Zug bilden, den wir brauchen, wenn unsere Gesellschaft einen rechten Inhalt haben soll.

Man sollte nicht den Einwand machen: was gedruckt ist, kann ich ja zu Hause selber lesen; das braucht mir in den Zweigversammlungen nicht vorgeführt zu werden. Es ist in diesem Mitteilungsblatte schon auf das Irrtümliche dieser Meinung hingewiesen worden. Man sollte einen Sinn darinnen sehen, mit den in der Gesellschaft vereinigten Persönlichkeiten zusammen das anthroposophische Geistesgut an sich Herankommen zu lassen. In diesem Gefühl, zusammen zu sein, und im Zusammensein das Geistige aufzunehmen, sollte man nicht ein Wesenloses sehen.

Auch ist es nötig, dass die tätig sein wollenden Mitglieder ein Interesse daran haben, die vorhandene Literatur allmählich wirklich zum geistigen Eigentum der Mitgliederschaft zu machen. Es geht nicht an, dass viele Mitglieder, die jahrelang in der Gesellschaft sind, in den Zweigversammlungen nichts zu hören bekommen über Dinge, von denen bestimmte Erkenntnisse in der vorhandenen Literatur vorliegen.

Auf der andern Seite ist zu sagen: es würde das Leben in der Gesellschaft ernsten Schaden leiden, wenn nicht möglichst viele tätige Mitglieder innerhalb derselben vorbringen würden, was sie aus Eigenem heraus zu sagen haben. Man kann doch dieses Tätigkeitsfeld ganz gut mit dem andern in harmonischen Einklang bringen. Man sollte doch bedenken, dass Anthroposophie nur das werden kann, was sie werden soll, wenn immer mehr Menschen an ihrer Ausbildung teilnehmen. Es sollte Freude darüber, nicht Ablehnung herrschen, wenn tätige Mitglieder in den Zweigversammlungen das zur Kenntnis bringen, was sie sich erarbeitet haben.

Wenn nun oft gesagt wird:das, was von mancher Persönlichkeit vorgebracht wird, sei nicht Anthroposophie, so kann ein solcher Ausspruch gewiss in einzelnen Fällen seine Berechtigung haben. Aber wohin kämen wir, wenn wir uns gegen die Wahrheit versündigten, dass in der Anthroposophischen Gesellschaft alles leben sollte, was zum Geistesgute der Menschheit gehört. Das Eine wird aus dem Grunde vorgebracht werden sollen, weil es die Grundlage zum Aufbau anthroposophischer Darstellung bilden kann. Das Andere wird mitzuteilen sein, weil es vonanthroposophischen Gesichtspunkten nachher zu beleuchten ist. Wenn nur der anthroposophische Grundcharakter in dem Wirken der Gesellschaft gewahrt wird, so sollte dem, was die einzelnen tätigen Mitglieder bringen, nicht in engherziger Art eine Grenze gezogen werden.

Nicht in dem Ausschliessen des Einen oder des Andern sollte gesucht werden, was die Zweigversammlungen tun sollen, sondern in der harmonischen Vereinigung der Pflege der vorhandenen Literatur und dem Vorbringen dessen, was die einzelnen tätigen Mitglieder von sich aus zu sagen haben.

Durch Mannigfaltigkeit, nicht durch Einförmigkeit des Wirkens werden wir die Ziele der Anthroposophischen Gesellschaft erreichen. Wir haben innerhalb der Gesellschaft so viele Mitglieder, die aus Eigenem zu geben haben, dass wir über diese Tatsache herzlich froh sein können. Wir sollten uns nach dieser Richtung angewöhnen können, Anerkennung solchen Mitgliedern entgegenzubringen. Nur wenn die Leistungen innerhalb der Gesellschaft recht gewürdigt werden, kann wahres Loben in ihr sein. Engherzige Ablehnung sollte unter den Untugenden innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft die allerseltenste sein. Man sollte vielmehr einen Enthusiasmus dafür entwickeln, möglichst viel von dem kennen zu lernen, was der Eine oder der Andere in der Gemeinschaft der Anthroposophen zu sagen hat.

 

Weitere Leitsätze, vom Goetheanum ausgegeben

20. Es gehört zur rechten Entfaltung des Seelenlebens im Menschen, dass er sich innerhalb seines Wesens des Wirkens aus dem Geiste vollbewusst werde. Viele Bekenner der neueren naturwissenschaftlichen Weltanschauung sind in dieser Richtung so stark in einem Vorurteile befangen, dass sie sagen, die allgemeine Ursächlichkeit ist in allen Welterscheinungen das Herrschende. Wenn der Mensch glaubt, es könne aus Eigenem die Ursache von etwas sein, so kann das nur eine Illusion bilden. Die neuere Natur-Erkenntnis will in allem treu der Beobachtung und Erfahrung folgen. Durch dieses Vorurteil von der verborgenen Ursächlichkeit der eigenen menschlichen Antriebe sündigt sie gegen diesen ihren Grundsatz. Denn das freie Wirken aus dem Innern des menschlichen Wesens ist ein ganz elementares Ergebnis der menschlichen Selbstbeobachtung. Man darf es nicht wegleugnen, sondern muss es mit der Einsicht in die allgemeine Verursachung innerhalb der Naturordnung in Einklang bringen.

21. Die Nicht-Anerkennung dieses Antriebes aus dem Geiste heraus im Innern des menschlichen Wesens ist das grösste Hindernis für die Erlangung einer Einsicht in die geistige Welt. Denn Einordnung des eigenen Wesens in den Naturzusammenhang bedeutet Ablenkung des Seelenblickes von diesem Wesen. Man kann aber in die geistige Welt nicht eindringen, wenn man den Geist nicht zuerst da erfasst, wo er ganz unmittelbar gegeben ist: in der unbefangenen Selbstbeobachtung.

22. Die Selbstbeobachtung bildet den Anfang der Geistbeobachtung. Und sie kann deshalb den rechten Anfang bilden, weil der Mensch bei wahrer Besinnung nicht bei ihr stehen bleiben kann, sondern von ihr fortschreiten muss zu weiterem geistigen Weltinhalt. Wie der menschliche Körper verkümmert, wenn er nicht physische Nahrung erhält, so wird der im rechten Sinne sich selbst beobachtende Mensch sein Selbst in Verkümmerung empfinden, wenn er nicht sieht, wie in dieses Selbst die Kräfte einer ausser ihm tätigen geistigen Welt hineinwirken.

 

 

XIII

Über eine Reihe anthroposophischer Veranstaltungen in Prag.

Mit grosser Befriedigung bin ich soeben von der Arbeit zurückgekehrt, die ich im Dienste der Anthroposophie in Prag verrichten durfte. Ein schöner Strom ernster Begeisterung und eifriger Hingabe an die anthroposophische Sache von Seite unserer Prager Freunde kam meiner Aufgabe für die Tage vom 28. März bis zum 5. April entgegen. ‒ Die Ausführung der Weihnachtstagung am Goetheanum fordert, dass ich die esoterische Grundlage der Anthroposophie nunmehr eindringlicher durch das tönen lasse, was ich mitzuteilen habe. Und dieser Ton hat bei unsern Freunden einen herzlichen Wiederhall gefunden. Im Namen der Anthroposophischen Gesellschaft und in Vertretung des mir zur Seite stehenden Vorstandes am Goetheanum sei den tätigen Mitgliedern der tschechoslowakischen Gesellschaft der wärmste Dank ausgesprochen. Die lieben Abschiedsworte, die am Ende der letzten Mitgliederversammlung von dem hochgeschätzten Gelehrten, der eine Zierde der Gesellschaft ist, und dann von dem langjährigen treuen, für unsere Sache aufopferungsvoll tätigen Mitgliede des Zentralvorstandes der Tschechoslowakischen Landesgesellschaft ausgesprochen worden sind, tönen mir noch nach in den Ohren.

Ich konnte am 28. März über die »Erforschung der geistigen Welt als Anthroposophie« in einem ersten öffentlichen Vortrage sprechen. Es war da meine Ausgabe, auszusprechen, wie sich die geistige Welt dem Seelenauge zeigt, das sich des übersinnlichen Schauens bewusst wird. Ich suchte im Verlaufe des Vortrages die Notwendigkeit anzudeuten, die Initiation, die in den alten Mystserienstättenim Charakter der früheren Entwicklungsstufen der Menschheit einen Einschlag in die Zivilisationen gebildet hat, im Geiste der neuen Zeit gewandelt, wieder zu einer solchen zu machen. ‒ In den Mitgliedervorträgen vom 29., 30., 31. März und vom 5. April sprach ich einleitend von der Umgestaltung der anthroposophischen Gesellschaft durch die Weihnachtstagung am Goetheanum und dann über die Gestaltung der karmischen Zusammenhänge durch die aufeinanderfolgenden Erdenleben, über die Formung des Karmas durch das Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, dann über die Auswirkung des Karmas in dem irdischen Lebenswandel des Menschen, ferner über einzelne Menschenschicksale, vor allem solche, die Persönlichkeiten betreffen, die in die geschichtliche Entwicklung der Menschheit eingegriffen haben. ‒ Am 1. April hielt ich einen öffentlichen Vortrag über »Sittliche Lebensgestaltung durch Anthroposophie«. Ich war bestrebt, zu zeigen, wie den anthroposophischen Erkenntnissen etwas moralisch Wirksames deshalb anhaftet, weil ihre Erwerbung an die Ausbildung der moralischen Qualitäten gebunden ist. Die sittliche Lebensgestaltung eines Menschen hängt ab von seiner sittlichen Einsicht, von dem sittlichen Verständnis für andere Menschen und von der sittlichen Kraft. Nun kann die imaginative Anschauung nicht anders als auf der Grundlage sittlicher Einsicht, die Empfänglichkeit für die Inspiration nur durch Übung im sittlichen Verständnis und die Intuition nur durch Pflege von sittlicher Kraft entwickelt werden. Daher kommt es, dass mitgeteilte Imaginationen bei dem sie Aufnehmenden zu sittlicher Einsicht, Inspirationen zu sittlichem Verständnis, Intuitionen zur Auslösung sittlicher Kraft anregen. In der Mitteilung solcher Einsichten wird also an den Quell des Moralischen im Menschen-Innern herangetreten. ‒ Am 2. April konnte ich »Über eurhythmische Kunst« sprechen. Ich charakterisierte die Eurhythmie als sichtbaren Gesang und sichtbare Sprache, indem ich das Musikalische als die Offenbarung des Menschenwesens darstellte, insoferne dieses abgesondert von den anderen Reichen der Natur sich auslebt, das Sprachliche, insofern als es die Eingliederung in die irdische Umgebung sucht. Die eurhythmischen Bewegungsformen für das Musikalische einerseits, für das Sprachliche anderseits ergeben sich aus dieser Stellung des Menschenwesens in der Welt. ‒ Am 3. April oblag es mir in dem öffentlichen Vortrag über »Die Wissenschaft der Gegenwart und die Anthroposophie« zu zeigen, wie Anthroposophie der wahren Wissenschaft nicht oppositionell gegenübersteht, sondern treu deren Ergebnisse hinnimmt, um, von ihnen ausgehend, das in der Sinneswelt Wirksame sowohl für die Natur- wie für die Kulturwissenschaft mit den in ihm treibenden geistigen Kräften im Zusammenhange darzustellen. Ich führte aus, wie gerade dadurch, dass man es mit den wissenschaftlichen Ergebnissen recht genau nimmt, die auf geisteswissenschaftlichem Wege errungenen Einsichten durch diese Ergebnisse selbst ihre Rechtfertigung erfahren. Ich bemühte mich, dies bemerklich zu machen durch die geisteswissenschaftlichen Anschauungen über das menschliche Nervensystem, über Herztätigkeit und Blutzirkulation, über die Dreigliederung der menschlichen Wesenheit in das Sinnes-Nerven-, das rhythmische, das Stoffwechsel-Gliedmassen-System, sowie auf kulturwissenschaftlichem Gebiete durch die Erkenntnis davon, wie sich die Menschenwesenheit im Laufe des geschichtlichen Werdens gewandelt hat. ‒ Am 4. April sprach ich über »Erziehung und Unterricht auf Grundlage wirklicher Menschenerkenntnis«. Ich wies auf die Anforderungen hin, welche der Pädagogik und Didaktik dadurch gestellt sind, dass die Menschenwesenheit die Epochen von der Geburt bis zum Zahnwechsel, von diesem bis zur Geschlechtsreife mit ganz bestimmten Anforderungen an das Erleben durchmacht. Mein Dank sei an unser Mitglied vom Zentralvorstand der Tschechoslowakischen Landesgesellschaft gerichtet, das die grosse Mühe auf sich genommen hat, meinen Vortrag in drei Absätzen in die böhmische Sprache zu übertragen. ‒ In einer Mitgliederversammlung, die am 30. März abgehalten worden ist, konstituierten unsere Freunde die Landesgesellschaft in der Tschechoslovakei, indem sie das Statut festlegten, mit dem sich diese Gesellschaft zu den Arbeitsergebnissen des Goetheanums bekennt und mit dem sie der eigenen Arbeit die Wege weisen will.

Einen integrierenden Teil der Veranstaltung bildeten die Eurhythmie-Aufführungen am 30. März und am 6. April, sowie die in meinen Vortrag vom 2. April eingeschlossenen Proben eurhythmischer Kunst. Frau Marie Steiner, welche bei allen drei Veranstaltungen die Rezitation gab, hatte in sorgfältiger Art die Programme der Eurhythmiedarbietungen so gestaltet, dass die gegenwärtige Entwicklungsstufe der Eurhythmie von den Zuschauern empfunden werden konnte. Diese Eurhythmievorstellungen verliefen so, dass Mitwirkende und Veranstalter das Gefühl davontrugen: es war eine wohltuende Stimmung und Empfänglichkeit im Theater am 30. März und 6. April, und im Konzertsaale (am 2. April) vorhanden.

 

Weitere Leitsätze.

23. Der Mensch betritt, indem er durch die Todespforte geht, die geistige Welt, indem er von sich abfallen fühlt alles, was er durch die Sinne des Leibes und durch das Gehirn während des Erdenlebens an Eindrücken und an Seeleninhalten erworben hat. Sein Bewusstsein hat dann in einem umfassenden Tableau in Bildern vor sich, was an Lebensinhalt während des Erdenwandels in Form von bildlosen Gedanken in das Gedächtnis gebracht werden konnte, oder was zwar für das Erdenbewusstsein unbemerkt geblieben ist, doch aber einen unterbewussten Eindruck auf die Seele gemacht hat. Diese Bilder verblassen nach wenig Tagen bis zum Entschwinden. Wenn sie sich ganz verloren haben, so weiss der Mensch, dass er auch seinen Aetherleib abgelegt hat, in dem er den Träger dieser Bilder erkennen kann.

24. Der Mensch hat nach der Ablegung des Aetherleibes noch den Astralleib und das Ich als die ihm verbleibenden Glieder. Solange der erstere an ihm ist, lässt dieser von dem Bewusstsein alles das erleben, was während des Erdenlebens den unbewussten Inhalt der im Schlafe ruhenden Seele gebildet hat. In diesem Inhalt sind die Urteile enthalten, welche die Geistwesen einer höheren Welt während der Schlafzeiten dem Astralleib einprägen, die aber dem Erdenbewusstsein sich verbergen. Der Mensch lebt sein Erdenleben noch einmal durch, doch so, dass sein Seeleninhalt jetzt die Beurteilung seines Tuns und Denkens vom Gesichtspunkte der Geisteswelt aus ist. Das Durchleben geschieht rückläufig: erst die letzte Nacht, dann die zweitletzte und so weiter.

25. Die nach dem Durchgang durch die Todespforte im Astralleibe erlebte Lebensbeurteilung dauert so lange, wie die Zeit betragen hat, die während des Erdenlebens von dem Schlafe eingenommen war.

 

 

XIV

Eine Erziehungstagung der Waldorfschule in Stuttgart.

Vom 7. bis 13. April konnten wir eine zahlreiche Besucherschaft in Stuttgart vereinigen. Der Vorstand am Goetheanum und das Lehrerkollegium der Waldorfschule hatten eine Einladung ergehen lassen zur Behandlung der Fragen über »Die Stellung der Erziehung im persönlichen und im Kulturleben der Gegenwart«. Das Thema schien uns wichtig. Denn die Zeit bedingt Selbstbesinnung darüber, wie die Kultur der Gegenwart, die Hervorragendes nur auf dem Gebiete des Naturerkennens und der Naturbeherrschung geleistet hat, wieder so in das Innere des Menschen dringen könne, dass die Sprache der Seele erklingen kann, die für den Erziehenden und Lehrenden notwendig ist. Mit der Naturerkenntnis erfasst man in Wirklichkeit nur, was ausserhalb des Menschen hegt. Man glaubt wohl in der Hochblüte der naturwissenschaftlichen Weltauffassung, dass man mit deren Methoden den Menschen erforschen und auch bilden könne; aber in Wahrheit bleibt der Mensch für den Menschen ein unbekanntes Gebiet, wenn es keine Einsicht gibt, dass innerhalb des Menschen etwas ganz Anderes waltet als ausserhalb desselben. Wahre Menschen-Erkenntnis, die so sicher auf Grundlagen ruht wie die Naturerkenntnis, die aber nicht bloss Menschen-Erkenntnis dadurch sein will, dass sie den Menschen wie ein Naturwesen behandelt, ist notwendig, um der Erziehung und dem Unterricht das Leben zuzuführen, das so viele in ihnen heute vermissen, ohne dass sie von den Wegen etwas wissen wollen, auf denen ein solches zu erlangen ist. Wahre Menschen-Erkenntnis muss den Menschen nach Leib, Seele und Geist erforschen. Denn der Menschenleib ist ein Werk des Geistes und eine Offenbarung der Seele. Will der Erzieher den Leib bilden, so muss er sich an die Kräfte des Geistes wenden, um fortzusetzen, was dieser aus dem vorirdischen Leben in diesen Leib an Bildekräften hereinschickt und im irdischen noch weiter fortwirken lässt. Will er die Seele bilden, so muss er den Leib kennen, um zu verstehen, wie das Seelische, das der Geist in diesen Leib verborgen hat, aus demselben herausgeholt werden kann. Körperliche Erziehung bloss durch Einfluss auf den Körper leisten zu wollen, ist ein Unding. Denn, was im kindlichen Alter in die Seele aufgenommen wird, das erscheint im Erwachsenen als gesunde oder kranke Körperverfassung. Man verbilde im Kinde das Seelische, so wird diese Verbildung in die körperliche Beschaffenheit überspringen. Denn im Kinde überträgt sich jeder seelische Impuls in gesunde oder kranke Atmung, in gesunde oder kranke Zirkulation, in gesunde oder kranke Verdauungstätigkeit. Was da Krankes entsteht, fällt oft am Kinde noch nicht auf. Es ist erst keimhaft vorhanden. Aber der Keim wächst mit dem Menschen heran. Und manche chronische Krankheit der vierziger Jahre des Menschen ist das Ergebnis der Seelenverbildung im ersten oder zweiten Lebensjahrzehnt.

Die Denkart, die sich seit dem fünfzehnten Jahrhundert entwickelt und die in unserer Zeit ihren Höhepunkt erreicht hat, kann sich in die angedeuteten Wahrheiten so wenig finden, dass diese ihr sogar absurd erscheinen können. Deshalb dringt diese Denkart nicht durch zu einer lebendigen, den ganzen Menschen und das ganze Menschenleben, von der Geburt bis zum Tode, erfassenden pädagogischen Kunst.

Wie in der Gegenwart die Menschheit innerlich nach den Grundlagen unbewusst verlangt, die sie äusserlich bewusst ablehnen möchte, das sollte auf unserer Erziehungstagung dargestellt werden. Dass viele Menschen heute das Bedürfnis empfinden, sich auf die Stellung der Erziehung im Kulturleben zu besinnen, das zeigt sich wohl darin, dass wir die Besucher der Vorträge in dem immerhin nicht kleinen Siglehaus kaum unterbringen konnten. Dass die Art, wie da über diese Stellung gesprochen wurde, manchem einleuchtet, ging aus der Stimmung der Zuhörerschaft hervor. Und auch das andere erwies diese Stimmung, dass gefühlt wurde, wie die anthroposophische Pädagogik der Erziehung und dem Lehren eine Stellung zum Leben des Menschen gibt, die dem von der Menschennatur selbst geforderten entspricht.

Es war mir sehr schmerzlich, dass ich selbst nur für die Zeit meiner Vorträge, vom Dienstag abend bis Freitag früh bei der Tagung sein konnte; und auch während dieser Zeit konnte ich, da Anderes mir oblag, nicht teilnehmen an den Vorträgen unserer hingebungsvollen, opferwilligen, unermüdlichen Lehrerschaft. Aber ich konnte aus Berichten entnehmen, wie schöne Früchte diese Hingabe, Opferwilligkeit und Unermüdlichkeit auch bei dieser Tagung in der öffentlichen Vertretung der Waldorfschulpädagogik gezeitigt haben.

Ausser den Vorträgen fanden Führungen durch die Räume der Waldorfschule statt, bei denen die Leistungen der Schüler veranschaulicht werden sollten. Man hatte Eurhythmieaufführungen der Kinder, und künstlerische Eurhythmiedarbietungen, die das Wesen und den pädagogisch-didaktischen Wert der Eurhythmie offenbaren sollten.

In Diskussionen und Aussprachen war eine Erweiterung und Verdeutlichung des Gehörten und Gesehenen angestrebt.

Unsere jungen Anthroposophen hielten eine Jugendversammlung ab, bei der besprochen wurde, was Anthroposophie dem jungen Menschen der Gegenwart für sein Suchen werden kann. An den Gesichtern dieser jungen Freunde konnte man lesen, wie bei ihnen Jugendempfindung mit Gefühl für die Anthroposophie zusammenfällt. Mit tiefster Befriedigung schaue ich auf diesen Teil der Erziehungstagung zurück.

Weitere Leitsätze

26. Erst nach Ablegung des Astralleibes, nach der vollendeten Lebensbeurteilung, tritt der Mensch in die geistige Welt ein. In dieser steht er zu Wesenheiten rein geistiger Art in einer solchen Beziehung wie auf der Erde zu den Wesenheiten und Vorgängen der Naturreiche. Es wird im geistigen Erleben dann alles, was im Erdenleben Aussenwelt war, zur Innenwelt. Der Mensch nimmt dann nicht bloss diese Aussenwelt wahr, sondern er erlebt sie in ihrer Geistigkeit, die ihm auf Erden verborgen war, als seine Innenwelt.

27. Der Mensch, wie er auf Erden ist, wird im Geistgebiet Aussenwelt. Man schaut auf diesen Menschen, wie man auf Erden auf Sterne, Wolken, Berge, Flüsse schaut. Und diese Aussenwelt ist nicht weniger inhaltreich, wie die Erscheinung des Kosmos dem irdischen Leben erscheint.

28. Die im Geistgebiet vom Geiste des Menschen erbildeten Kräfte wirken in der Gestaltung des Erdenmenschen fort, so wiedie im physischen Menschen vollbrachten Taten in dem Leben nach dem Tode als Seeleninhalt fortwirken.

 

XV

Eine pädagogische Veranstaltung in Bern.

Mit grosser Befriedigung sehe ich zurück auf die Veranstaltung, die auf Wunsch von Berner Lehrern und Lehrerinnen in der Zeit vom 13. bis 17. April in Bern stattgefunden hat. Im Verein mit einigen Lehrkräften der Stuttgarter Waldorfschule durfte ich im Sinne der aus anthroposophischer Menschen-Erkenntnis hervorgehenden pädagogischen Kunst wirken. Mein Thema war: »Anthroposophische Pädagogik und ihre Voraussetzungen.« ‒ Fräulein Emma Ramser eröffnete am Sonntag, den 13. April abends die Veranstaltungen, die im Grossratssaale stattfanden, mit herzlichen Worten, die in schöner Art auf die Aufgaben hinwiesen, welche aus dem Gesichtspunkte der Anthroposophie heraus der Erziehungskunst erwachsen. Die Wärme, die von diesen Worten ausging, bedeutete für die Arbeit der folgenden Tage einen schönen Anfang.

Mir war es ein lieber Gedanke, an der Stätte, von der aus ich durch eine lange Reihe von Jahren oft über Anthroposophie sprechen durfte, nun auch die Grundlagen unserer pädagogischen Bestrebungen auseinandersetzen zu dürfen. Und die Vorstände der Anthroposophischen Gesellschaft sowie der Anthroposophischen Gesellschaft in der Schweiz dürfen befriedigt sein über das Gelingen des von ihnen mit dieser Veranstaltung Beabsichtigten. Den grossen Bemühungen unserer Berner Freunde verdanken wir dieses.

Es war mein Bestreben, in den Vorträgen, die ich halten durfte, zu zeigen, wie das kindliche Menschenwesen selbst in den drei ersten Epochen seiner Entwicklung der Erziehung und dem Unterrichte ihre Aufgaben stellt. Immer wieder muss man bei solchen Gelegenheiten betonen, dass es durchaus den Vertretern der anthroposophischen Sache ferne liegt, in die Schule Anthroposophie als ein Bekenntnis hineinzutragen. Es kann sich nur darum handeln, die Menschen-Erkenntnis, die durch Anthroposophie zu gewinnen ist, zur Voraussetzung des Methodischen und Diktatischen zu machen. Alles sektirerische Wirken wird dabei ganz ausgeschlossen. Das Allgemein-Menschliche kommt allein in Betracht. In welchem Zusammenhange eine Schule auch steht, in der Art, wie das Erziehen und Unterrichten gestaltet wird, kann die Grundlage, auf der wir aufbauen, zur Geltung kommen. Es wird eben einfach gefragt: wie entfaltet sich der Mensch in seinen ersten Lebensepochen; und was kann man für die Gestaltung des Erziehens und Unterrichtens von dem Wesen dieser Entfaltung selbst ablesen? In diesem von anthroposophischem Geiste getragenen Ablesen entwickelt sich eine Pädagogik, die in dem Lehrenden und Erziehenden nicht bloss eine intellektuelle Richtschnur seines Handelns, sondern das seelische Lebensblut seines ganzen Menschen werden kann, so dass dieser ganze Mensch sich im erzieherischen Wirken darzuleben in der Lage ist. Das in klarem Anschauen der Menschennatur entwickelte pädagogische Erkennen wird kindliebende Hingabe des Erziehergemütes, wird sachgemässe Lenkung des erzieherischen Wollens. In der Art, wie anthroposophische Pädagogik den Erzieher-Enthusiasmus in der Seele des Erziehenden aufleben lässt, sodass in ganz selbstverständlicher Weise das Wissen vom Erziehen zum Können wird, das von der Liebe im Wirken getragen ist: darinnen liegt, was gesucht wird. Und eine pädagogische Kunst, die in dieser Richtung zu wirken beabsichtigt, darf den Mut haben, ihre Grundlagen zu vertreten in einem Lande, in dem Pestalozzi so Segensreiches für die Erziehung des Menschenwesens getan hat. Die schöne Teilnahme der Zuhörerschaft ist ein Beweis dafür, dass dem Gewollten, wenn auch noch von einem kleinen Kreis, so doch von diesem echtes Verständnis entgegengebracht wird. Dass auch Nicht-Lehrer bei der Veranstaltung erschienen sind, zeigt, wie die Sache als etwas empfunden wird, das in der Richtung eines allgemeinen menschlichen Bedürfnisses liegt. Und die Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft, die in so erfreulicher Weise anwesend waren, haben gezeigt, was aus den Bestrebungen, die aus Anthroposophie hervorgehen, werden kann, wenn sie von der hingebungsvollen Liebe unserer Mitgliederschaft getragen werden.

Am Montag nachmittag fand eine »Vorführung pädagogischer Eurhythmie« durch die Schülerinnen der Fortbildungsschule am Goetheanum im Schänzlitheater statt. Es war die Aufgabe dieser Vorführung, darzulegen, wie die Eurhythmie als erzieherisches Mittel durch die Offenbarung einer Bewegungskunst wirken kann, die aus der ganzen menschlichen Wesenheit herausgeholt ist. Man konnte eine ungeteilte Freude an der Aufnahme haben, die dieser Vorführung zuteil geworden ist.

Fräulein Dr. v. Heydebrand sprach am Dienstag über die »Erziehung jüngerer Kinder« in ihrer von gründlicher Einsicht und edler Kindesliebe getragenen Art. Diese Lehrkraft der Waldorfschule hat reiche Erfahrungen durch mehrere Jahre im Erziehen und Unterrichten älterer Kinder gesammelt; sie hat dann ihr Wirken bei diesem vertauscht mit dem bei eben in die Schule aufgenommenen. Dadurch hat sie sich den Blick für eine feinsinnige Beobachtung des dem Pädagogen Notwendigen angeeignet. Was auf diesem Wege gewonnen werden kann, sprach in eindringlicher Art aus dem, was sie darlegte.

Dr. Stein von der Stuttgarter Waldorfschule sprach in seiner herzhaften Weise über die Stellung der Geschichte im Dasein des Menschen und im Kulturleben. Seine Absicht war, zu zeigen, wie der Ausblick auf die Impulse des geschichtlichen Lebens der Pädagogik ihre wirkungverheissende Kraft geben kann.

Andere Verpflichtungen verhinderten mich zu meinem grossen Bedauern, dem Vortrage Dr. v. Baravalle’s über »Belebungskräfte für den Elementarunterricht in den Naturwissenschaften« beizuwohnen.

Der Beschluss der ganzen Veranstaltung wurde mit einem Vortrage Dr. Kolisko's von der Waldorfschule über »Pädagogik und Medizin« gegeben. In einer umsichtig-sachgemässen Art versuchte Dr. Kolisko zu zeigen, wie die Behandlung des Kindes in physischer Beziehung geleitet werden kann, wenn Menschen-Erkenntnis auf Leib, Seele und Geist zugleich geht. Er stellte dar, wie eine solche Behandlung von medizinischen Gesichtspunkten aus sich in die pädagogische Kunst einfügen kann.

Die zwischen den Vorträgen veranstalteten Diskussionen konnten ein befriedigendes Bild davon geben, dass ein rechtorientiertes Verständnis der Teilnehmerschaft die geistige Atmosphäre abgab, in der diese Veranstaltung ihre Arbeit vollzogen hat.

 

Weitere Leitsätze

29. In der entwickelten imaginativen Erkenntnis wirkt, was im Innern des Menschen seelisch-geistig lebt und in seinem Leben am physischen Leib gestaltet und auf dessen Grundlage das Menschendasein in der physischen Welt entfaltet. Dem sich im Stoffwechsel immer wieder erneuernden physischen Leib steht da die in ihrem Wesen von der Geburt (bzw.Empfängnis) bis zum Tode dauernd sich entfaltende innere Menschenwesenheit gegenüber, dem physischen Raumesleib ein Zeitenleib.

30. In der inspirierten Erkenntnis lebt im Bilde, was das Menschenwesen in der Zeit zwischen dem Tode und einer neuen Geburt innerhalb einer geistigen Umgebung erfährt. Da ist anschaulich, was der Mensch ohne seinen physischen und Aetherleib, durch die er das irdische Dasein durchmacht, seinem Wesen nach im Weltenzusammenhange ist.

31. In der intuitiven Erkenntnis kommt das Herüberwirken früherer Erdenleben in das gegenwärtige zum Bewusstsein. Diese früheren Erdenleben haben in ihrer Weiterentwicklung die Zusammenhänge abgestreift, in denen sie mit der physischen Welt gestanden haben. Sie sind zum rein geistigen Wesenskern des Menschen geworden und wirken als solcher im gegenwärtigen Leben. Sie sind dadurch auch Gegenstand der Erkenntnis, die als die Entfaltung der imaginierenden und inspirierten sich ergibt.

   

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