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LIX

Wo ist der Mensch als denkendes und sich erinnerndes Wesen?

Mit dem Vorstellen (Denken) und dem Erleben von Erinnerungen befindet sich der Mensch innerhalb der physischen Welt. Aber, wo immer er den Blick in dieser physischen Welt hinrichtet: mit seinen Sinnen wird er nirgends etwas finden, das ihm die Kräfte zum Vorstellen und Erinnern geben könnte.

Im Vorstellen erscheint das Selbstbewusstsein. Dieses ist ‒ im Sinne der vorangehenden Betrachtungen ‒ ein Erwerb, den der Mensch von den Kräften des Irdischen hat. Aber diese irdischen Kräfte sind solche, die dem sinnlichen Anschauen verborgen bleiben. Der Mensch denkt zwar im Erdenleben nur das, was ihm seine Sinne vermitteln; aber die Kraft zum Denken gibt ihm nichts von alle dem, was er so denkt.

Wo findet man diese Kraft, die aus dem Irdischen heraus das Vorstellen (Denken) und die Erinnerungsbilder formt?

Man findet sie, wenn man den Geistesblick auf das richtet, wassich der Mensch aus den vorigen Erdenleben mitbringt. Das gewöhnliche Bewusstsein kennt dieses nicht. Es lebt im Menschen zunächst unbewusst. Aber es erweist sich, indem der Mensch nach dem geistigen Sein die Erde betritt, sogleich als verwandt mit den irdischen Kräften, die nicht in den Bereich von Sinnesbeobachten und Sinnesdenken fallen.

Nicht mit dem Vorstellen (Denken) ist der Mensch in diesem Bereich, sondern mit dem Wollen, das sich im Sinne des Schicksals abspielt.

Man kann in Anbetracht dessen, dass die Erde Kräfte enthält, die ausserhalb des Sinnenbereiches fallen, von der »geistigen Erde« als Gegenpol der physischen sprechen. Dann ergibt sich, dass der Mensch als Willenswesen in und mit der »geistigen Erde« lebt, dass er aber als vorstellendes (denkendes) Wesen zwar innerhalb der physischen Erde ist, dass er aber als solches nicht mit ihr lebt.

Der Mensch als denkendes Wesen trägt aus der Geist-Welt Kräfte in die physische; aber er bleibt mit diesen Kräften Geistwesen, das in der physischen Welt nur erscheint, aber keine Gemeinsamkeit mit ihr eingeht.

Eine Gemeinsamkeit geht der vorstellende (denkende) Mensch während des Erdendaseins nur mit der »geistigen Erde« ein. Und aus dieser Gemeinsamkeit erwächst ihm sein Selbstbewusstsein. ‒ Dessen Entstehung ist also verdankt solchen Vorgängen, die sich im Erdenleben mit dem Menschen als geistige abspielen.

Umfasst man mit der Geistesschau, was da beschrieben ist, so hat man das »menschliche Ich« vor dieser Schau.

Mit den Erinnerungs-Erlebnissen kommt man in das Gebiet des menschlichen Astralleibes. Im Erinnern strömen nicht bloss wie beim Vorstellen (Denken) die Ergebnisse voriger Erdenleben in das gegenwärtige Ich, sondern es strömen die Kräfte der Geist-Welt, die der Mensch zwischen Tod und neuer Geburt erlebt, in sein Inneres ein. Dieses Einströmen geschieht in den Astralleib.

Nun gibtes innerhalb der physischen Erde auch für die unmittelbare Aufnahme der so einströmenden Kräfte kein Gebiet. Der Mensch kann als sich erinnerndes Wesen noch ebensowenig mit den Dingen und Vorgängen, die seine Sinne wahrnehmen, sich verbinden, wie er sich als vorstellendes Wesen mit diesen verbinden kann.

Aber er geht Gemeinsamkeit ein mit dem, was zwar nicht physisch ist, was aber das Physische in Vorgänge, in Geschehnisse umsetzt. Es sind dies die rhythmischen Vorgänge in Natur- und Menschenleben. In der Natur wechseln rhythmisch Tag und Nacht, folgen rhythmisch Jahreszeiten usw. Im Menschen erfolgt das Atmen und die Blutzirkulation im Rhythmus. Es geht so der Wechsel von Schlafen und Wachen vor sich usw.

Rhythmische Vorgänge sind weder in der Natur, noch im Menschen etwas Physisches. Man könnte sie halbgeistig nennen. Das Physische als Ding verschwindet im rhythmischen Vorgang. Im Erinnern ist der Mensch mit seinem Wesen in seinen und in den Naturrhythmus versetzt. Er lebt in seinem Astralleib.

Indischer Yoga will ganz in dem Erleben des Rhythmus aufgehen. Er will das Gebiet des Vorstellens, des Ich verlassen und in einem inneren Erleben, das dem Erinnern ähnlich ist, in die Welt schauen, die hinter dem liegt, was das gewöhnliche Bewusstsein kennen kann.

Das westliche Geistesleben darf zum Erkennen das Ich nicht unterdrücken. Es muss das Ich an die Wahrnehmung des Geistigen heranbringen.

Es kann das nicht geschehen, wenn man von der sinnenfälligen in die rhythmische Welt so vordringt, dass man im Rhythmus nur das Halbgeistig-Werden des Physischen erlebt. Man muss vielmehr die Sphäre der Geistwelt finden, die im Rhythmus sich offenbart.

Zweierlei ist also möglich. Erstens: Erleben des Physischen im Rhythmischen, wie dieses Physische halbgeistig wird. Es ist dies ein älterer, heute nicht mehr zu betretender Weg. Zweitens: Erleben der Geist-Welt, die den Weltenrhythmus in und ausserhalb des Menschen so zu ihrer Sphäre hat, wie der Mensch die Erdenwelt mit ihren physischen Wesen und Vorgängen.

Zu dieser Geist-Welt nun gehört alles, was im gegenwärtigen kosmischen Augenblicke durch Michael geschieht. Ein Geist wie Michael bringt dasjenige, was sonst im luziferischenGebiet liegen würde, dadurch in das der rein menschlichen Entwicklung ‒ die von Luzifernicht beeinflusst ist ‒, dass er die rhythmische Welt zu seinem Wohnplatz erwählt.

Angeschaut kann das alles werden, indem der Mensch in die Imagination eintritt. Denn die Seele lebt mit der Imagination im Rhythmus; und Michaels Welt ist diejenige, die im Rhythmus sich offenbart.

Erinnerung, Gedächtnis steht schon in dieser Welt darinnen, aber noch nicht tief. Das gewöhnliche Bewusstsein erlebt davon nichts. Tritt man aber in die Imagination ein, dann taucht aus der Rhythmus-Welt zunächst die Welt der subjektiven Erinnerungen auf; diese geht aber sogleich über in die im Aetherischen lebenden von der göttlich-geistigen Welt geschaffenen Urbilder für die physische Welt. Den in kosmischen Bildern aufleuchtenden, das Weltenschaffen in sich bergenden Aether erlebt man. Und die in diesem Aether webenden Sonnenkräfte: die sind da nicht bloss strahlend, die zaubern Welten-Urbilder aus dem Lichte heraus. Die Sonne erscheint als der kosmische Weltenmaler. Sie ist das kosmische Gegenbild der Impulse, die im Menschen die Vorstellungs- (Denk-) Bilder malen.

 

Weitere Leitsätze mit Bezug auf die vorangehende Betrachtung.

165. Der Mensch lebt zwar als denkendes Wesen in dem Bereich der physischen Erde; aber er geht mit dieser keine Gemeinsamkeit ein. Er lebt als Geist-Wesen so, dass er das Physische wahrnimmt; die Kräfte zum Denken empfängt er aber von der »geistigen Erde« auf demselben Wege, auf dem er das Schicksal im Ergebnis voriger Erdenleben erlebt.

166. Was in der Erinnerung (im Gedächtnisse) erlebt wird, das ist schon in der Welt, wo im Rhythmus das Physische halbgeistig wird, und wo solche Geist-Vorgänge sich abspielen, wie diejenigen sind, die im gegenwärtigen kosmischen Augenblicke durch Michael geschehen.

167. Wer Denken und Erinnerung richtig kennen lernt, dem geht das Verständnis dafür auf, wie der Mensch als Erdenwesen zugleich innerhalb des Erdgebietes lebt, aber doch nicht völlig in dieses Gebiet mit seinem Wesen eintaucht, sondern als ausserirdisches Wesen durch die Gemeinsamkeit mit der »geistigen Erde« sein Selbstbewusstsein, als die Vollendung des Ich sucht.

 

 

LX

Der Mensch in seiner makrokosmischen Wesenheit.

Der Kosmos offenbart sich dem Menschen zunächst von Seite der Erde und von der Seite des Ausserirdischen, der Sternenwelt.

Mit der Erde und ihren Kräften fühlt sich der Mensch verwandt. Das Leben belehrt ihn über diese Verwandtschaft mit grosser Deutlichkeit.

Nicht so fühlt er sich im gegenwärtigen Zeitalter verwandt mit der Sternenumgebung. Aber dies dauert nur so lange, als er sich seines Aetherleibes nicht bewusst ist. Den Aetherleib in Imaginationen erfassen, heisst ein Zusammengehörigkeitsgefühl mit der Sternenwelt so entwickeln, wie man dies durch das Bewusstsein vom physischen Leibe von der Erde hat.

Die Kräfte, die den Aetherleib in die Welt hineinstellen, kommen aus dem Umkreis der Welt, wie die für den physischen Leib aus dem Mittelpunkt der Erde strahlen.

Aber mit den Aetherkräften, die aus dem Umkreis des Kosmos auf die Erde einströmen, kommen auch diejenigen Weltimpulse, die im astralischen Leibe des Menschen wirken.

Der Aether ist wie ein Meer, in dem sich schwimmend aus den allseitigen Weltenfernen die Astralkräfte der Erde nähern. –

Im gegenwärtigen kosmischen Zeitalter können aber nur das Mineral- und das Pflanzenreich in ein unmittelbares Verhältnis zu dem Astralen kommen, das auf den Wogen des Aethers auf die Erde hereinströmt. Nicht das Tierreich und nicht das Menschenreich.

Beim Tierreich zeigt das geistige Schauen, wie im Embryonalen nicht das gegenwärtig auf die Erde einströmende Astrale lebt, sondern dasjenige, das noch zur alten Mondenzeit eingeströmt ist.

Bei dem Pflanzenreich schaut man, wie die mannigfaltigen wunderbaren Formen gebildet werden, indem aus dem Aether das Astrale sich löst und über die Pflanzenwelt hin wirkt.

Bei der Tierwelt schaut man, wie aus dem Geistigen heraus das vorzeitlich ‒ während der Mondenentwicklung ‒ wirksame Astrale aufbewahrt worden ist und als solches Aufbewahrtes wirkt, das gegenwärtig in der Geistwelt verbleibt und nicht in die Aetherwelt heraustritt.

Die Wirksamkeit dieses Astralen wird auch durch die Mondenkräfte vermittelt, die ja ebenfalls aus dem vorigen Erdenstadium verblieben sind.

Man hat also im Tierreich das Ergebnis von Impulsen, die im vorigen Erdenstadium sich äusserlich ‒ naturhaft offenbarten, während sie im gegenwärtigen kosmischen Zeitalter sich in die Geistwelt zurückgezogen haben, die wirksam die Erde durchströmt.

Nun zeigt sich dem geistigen Schauen, dass innerhalb des Tierreiches für die Durchdringung des physischen und des Aetherleib mit dem Astralleib lediglich die im gegenwärtigen Irdischen aus der Vorzeit bewahrten Astralkräfte bedeutsam sind. Hat aber das Tier einmal seinen Astralleib, dann treten in demselben die Sonnen-Impulse wirksam auf. Die Sonnenkräfte können dem Tiere nichts von Astralischem geben; wohl aber müssen sie, wenn dieses einmal im Tiere ist, für Wachstum, Ernährung usw. eintreten.

Anders ist dies für das Menschenreich. Auch dieses erhält zunächst sein Astrales von den bewahrten Mondenkräften. Aber die Sonnenkräfte enthalten Astralimpulse, die für das Tierreich unwirksam bleiben, die aber im menschlichen Astralen so fortwirken, wie die Mondenkräfte beim ersten Durchdringen des Menschen mit Astralität gewirkt haben.

Im tierischen Astralleib schaut man die Mondenwelt; im menschlichen den harmonischen Zusammenklang von Sonnen- und Mondenwelt.

Auf diesem Sonnenhaften im menschlichen Astralleib beruht es, dass der Mensch das im Irdischen ausstrahlende Geistige zur Heranbildung des Selbstbewusstseins aufnehmen kann. Das Astralische strömt aus dem Umkreis des Weltenalls. Es wirkt entweder als solches, das gegenwärtig einströmt, oder als solches, das in der Vorzeit eingeströmt und bewahrt worden ist. ‒ Alles aber, was sich auf Gestaltung des Ich als Träger des Selbstbewusstseins bezieht, muss von einem Sternmittelpunkt ausstrahlen. Das Astralische wirkt aus dem Umkreis, das Ich-mässige aus einem Mittelpunkt. Die Erde als Stern impulsiert von ihrem Mittelpunkte aus das menschliche Ich. Jeder Stern strahlt von seinem Mittelpunkte aus Kräfte, von denen das Ich irgendeiner Wesenheit gestaltet ist.

So stellt sich die Polarität von Sternmittelpunkt und kosmischem Umkreis dar.

Man sieht aus dieser Darstellung zugleich, wie das Tierreich als ein Ergebnis früherer Entwicklungskräfte des Erdenwesens heute noch dasteht, wie es die bewahrten Astralkräfte verbraucht, wie es aber verschwinden muss, wenn diese verbraucht sind. Beim Menschen werden dagegen vom Sonnenhaften aus neue Astralkräfte erworben. Diese machen es ihm möglich, seine Entwicklung in die Zukunft zu tragen.

Man kann, wie man aus alle dem ersieht, den Menschen in seiner Wesenheit nicht verstehen, wenn man sich seines Zusammenhangs mit dem Sternensein nicht ebenso bewusst wird wie desjenigen mit der Erde.

Und was der Mensch von der Erde für die Entfaltung seines Selbstbewusstseins empfängt, rührt ja auch von der innerhalb des Irdischen wirksamen Geist-Welt her. ‒ Dass das Sonnenhafte dem Menschen gibt, was er für sein Astralisches braucht, das rührt von den Wirkungen her, die sich während der alten Sonnenzeit abgespielt haben. Da hat die Erde die Fähigkeit empfangen, die Ich-Impulse der Menschheit zu entfalten. Es ist das Geistige aus dieser Zeit, das sich die Erde aus dem Sonnenhaften bewahrt hat, das aber durch die gegenwärtige Sonnenwirkung vor dem Ersterben bewahrt wird.

Die Erde war einst selbst Sonne. Da hat sie sich vergeistigt. Im gegenwärtigen kosmischen Zeitalter wirkt das Sonnenhafte von aussen. Dieses verjüngt fortdauernd das alt werdende, aus der Vorzeit stammende Geistige. Zugleich bewahrt dieses gegenwärtig wirkende Sonnenhafte das Vorzeitliche vor dem Hineinfallen in das Luziferische. Denn was, ohne in die Kräfte der Gegenwart aufgenommen zu werden, fortwirkt, verfällt dem Luziferischen.

Man kann sagen, des Menschen Zusammengehörigkeitsgefühl mit dem ausserirdischen Kosmos sei in dieser kosmischen Epoche so abgedämpft, dass er es nicht innerhalb seines Bewusstseins bemerkt. Und es ist nicht nur abgedämpft, es wird übertönt von dem Zusammengehörigkeitsgefühl mit dem Irdischen. Weil der Mensch sein Selbstbewusstsein im Irdischen finden muss, wächst er mit diesem während des Anfangs des Bewusstseinsseelen-Zeitalters so zusammen, dass es viel stärker auf ihn wirkt, als dies mit dem rechten Verlauf seines Seelenlebens vereinbar ist. ‒ Der Mensch ist gewissermassen von den Eindrücken der Sinnenwelt betäubt. Er kommt innerhalb dieser Betäubung mit dem freien, in sich selbst lebenden Denken nicht auf.

Die ganze Zeitepoche von der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts an war eine solche der Betäubung durch die Sinneseindrücke. Das ist die grosse Illusion dieser Zeitepoche, dass man in ihr das zu starke Sinnesleben für das rechte genommen hat. Jenes Sinnesleben, das das Leben im ausserirdischen Kosmos ganz auszulöschen bestrebt war.

In diese Betäubung hinein konnten die ahrimanischen Mächte ihr Wesen entfalten. Luzifer war durch das Sonnenhafte mehr zurückgewiesen als Ahriman, der in der Lage war, die gefährliche Empfindung gerade in den wissenschaftlichen Menschen hervorzurufen, dass die Ideen nur auf die Sinnes-Eindrücke anwendbar seien. So kann gerade in diesen Kreisen Anthroposophie wenig Verständnis finden. Man steht den Ergebnissen der Geist-Erkenntnis gegenüber. Man sucht sie mit den Ideen zu verstehen. Doch diese Ideen fassen das Geistige nicht, weil ihr Erleben von der ahrimanisierten Sinnes-Erkenntnis übertäubt ist. Und so kommt man in die Furcht hinein, man verfalle blindem Autoritätsglauben, wenn man sich auf die Ergebnisse des geistig Schauenden einlässt.

Immer finsterer wurde in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts für das menschliche Bewusstsein der ausserirdische Kosmos.

Wenn der Mensch in sich die Ideen zu erleben wieder fähig wird, auch dann, wenn er sich mit ihnen nicht an die Sinneswelt anlehnt, dann wird dem Blick in den ausserirdischen Kosmos wieder Helligkeit entgegenströmen. Das aber heisst Michael in seinem Reiche kennenlernen.

Wenn einmal das Michael-Fest im Herbste wahr und innig sein wird, dann wird in der Empfindung der das Fest begehenden Menschen mit innerster Ehrlichkeit sich das Leitmotiv loslösen und im Bewusstsein leben: Ideen-erfüllterlebt die Seele Geistes-Licht, wenn der Sinnenschein nur wie Erinnerung in dem Menschen nachklingt.

Wenn der Mensch solches wird empfinden können, dann wird er nach der Festes-Stimmung auch wieder richtig in die Sinneswelt untertauchen können. Und Ahriman wird ihm nicht schaden können.

 

Leitsätze mit Bezug auf die vorangehende Betrachtung: derMensch in seiner makrokosmischen Wesenheit.

168. Im Beginne des Bewusstseinszeitalters trat eine Abdämpfung des Zusammengehörigkeitsgefühles des Menschen mit dem ausserirdischen Kosmos auf. Im Gegensatz hierzu wurde das Zusammengehörigkeitsgefühl mit dem Irdischen im Erleben der Sinneseindrücke gerade bei den wissenschaftlichen Menschen so stark, dass es eine Betäubung darstellt.

169. Innerhalb dieser Betäubung wirken die ahrimanischen Mächte besonders gefährlich, weil der Mensch in der Illusion lebt, das zu starke, betäubende Erleben der Sinnes-Eindrücke sei das Rechte und ein wahrer Fortschritt in der Entwicklung.

170. Der Mensch muss die Kraft finden, seine Ideenwelt zu durchleuchten und durchleuchtet zu erleben, auch wenn er sich mit ihr nicht an die betäubende Sinneswelt anlehnt. An diesem Erleben der selbständigen, in ihrer Selbständigkeit durchleuchteten Ideenwelt wird das Zusammengehörigkeitsgefühl mit dem ausserirdischen Kosmos erwachen. Die Grundlage für Michael-Feste wird daraus erstehen.

 

LXI

Des Menschen Sinnes- und Denkorganisation

im Verhältnis zur Welt.

Wenn der Mensch, das eigene Menschenwesen betrachtend, zunächst das imaginative Erkennen auf sich anwendet, so streift er in der Anschauung sein Sinnessystem ab. Er wird für seine Selbstanschauung ein Wesen ohne dieses System. Er hört nicht auf, Bilder vor seiner Seele zu haben, die vorher von den Sinnesorganen getragen waren; aber er hört auf, sich durch diese Organe mit der physischen Aussenwelt verbunden zu fühlen. Die Bilder, die er von der physischen Aussenwelt vor der Seele hat, sind jetzt nicht von den Sinnesorganen getragen: sie sind für die unmittelbare Anschauung ein Beweis dafür, dass der Mensch durch die Sinnesverbindung hindurch mit der natürlichen Umwelt noch in einer andern Verbindung steht, die nicht von den Sinnen getragen ist. Es ist die Verbindung mit dem Geiste, der in der natürlichen Aussenwelt verkörpert ist.

In solcher Anschauung fällt also die physische Welt von dem Menschen ab. Es ist das Irdische, das abfällt. Der Mensch fühlt dieses Irdische nicht mehr an sich.

Man könnte glauben, dass ihm damit das Selbstbewusstsein schwindet. Das scheint aus den bisherigen Betrachtungen zu folgen, die das Selbstbewusstsein als ein Ergebnis des Zusammenhanges des Menschen mit der Erden-Wesenheit aufgezeigt haben. Es ist aber nicht so. Was der Mensch durch das Irdische erworben hat, das bleibt ihm, auch wenn er nach der Erwerbung im erlebenden Erkennen das Irdische von sich abstreift.

Durch die geschilderte geistig-imaginative Anschauung zeigt sich, dass der Mensch im Grunde sein Sinnessystem gar nicht intensiv mit sich verbunden hat. Es lebt eigentlich nicht Er in diesem Sinnessystem, sondern die Umwelt. Diese hat sich mit ihrem Wesen in die Sinnesorganisation hineingebaut.

Und der imaginativ-schauende Mensch betrachtet deshalb auch die Sinnesorganisation als ein Stück Aussenwelt. Ein Stück Aussenwelt, das ihm allerdings näher steht als die natürliche Umwelt, das aber doch Aussenwelt ist. Es unterscheidet sich von der übrigen Aussenwelt nur dadurch, dass der Mensch in diese nicht anders als durch die Sinneswahrnehmung erkennend untertauchen kann. In seine Sinnesorganisation taucht er aber erlebend unter. Die Sinnesorganisation ist Aussenwelt, aber der Mensch streckt in diese Aussenwelt sein geistig-seelisches Wesen hinein, das er beim Betreten des Erdendaseins aus der Geist-Welt mitbringt.

Mit Ausnahme der Tatsache, dass der Mensch seine Sinnesorganisation mit seinem geistig-seelischen Wesen erfüllt, ist diese Organisation Aussenwelt, wie es die um ihn sich ausbreitende Pflanzenwelt ist. Das Auge gehört letzten Endes der Welt, nicht dem Menschen, wie die Rose, die der Mensch wahrnimmt, nicht ihm, sondern der Welt gehört.

In dem Zeitalter, das der Mensch in der kosmischen Entwicklung eben durchgemacht hat, traten Erkennende auf, die da sagten: Farbe, Ton, Wärme-Eindrücke seien eigentlich nicht in der Welt, sondern im Menschen. Die »rote Farbe«, so sagen sie, sei nichts da draussen in der menschlichen Weltumgebung, sondern nur die Wirkung von etwas Unbekanntem auf den Menschen. ‒ Aber die Wahrheit ist das gerade Gegenteil von dieser Anschauung. Nicht die Farbe gehört mit dem Auge dem Menschenwesen an, sondern das Auge gehört mit der Farbe der Welt an. Der Mensch lässt während seines Erdenlebens nicht die irdische Umgebung in sich hereinströmen, sondern er wächst zwischen Geburt und Tod in diese Aussenwelt hinaus.

Es ist bedeutsam, dass sich am Ende des finsteren Zeitalters, in dem der Mensch in die Welt starrt, ohne das Licht des Geistes auch nur ahnend zu erleben, die wahre Ansicht von dem Verhältnis des Menschen zur Umwelt geradezu in das Gegenbild des Wahren verkehrt.

Hat der imaginativ Erkennende diejenige Umwelt abgestreift, in der er mit seiner Sinnesorganisation lebt, so tritt in das Erleben eine Organisation ein, von der das Denken so getragen ist, wie das sinnliche Bild-Wahrnehmen durch die Sinnesorganisation.

Und jetzt weiss sich der Mensch durch diese Denk-Organisation mit der kosmischen Sternen-Umgebung so in Zusammenhang, wie er sich vorher durch die Sinnes-Organisation mit der Erden-Umgebung in Zusammenhang gewusst hat. Er erkennt sich als kosmisches Wesen. Die Gedanken sind niemehr Schattenbilder; sie sind von Wirklichkeit durchtränkt wie die Sinnesbilder in der sinnlichen Wahrnehmung. Steigt nun der Erkennende zur Inspiration auf, so wird er gewahr, dass er diese Welt, die sich auf die Denkorganisation stützt, ebenso abstreifen kann wie die irdische. Er durchschaut, wie er auch mit dieser Denkorganisation nicht dem eigenen Wesen, sondern der Welt angehört. Er durchschaut, wie die Weltgedanken durch seine eigene Denk-Organisation in ihm walten. Er wird wieder gewahr, wie er denkt, indem er nicht Abbilder der Welt in sich hereinnimmt, sondern wie er mit der Denkorganisation in das Weltdenken hinauswächst.

Sowohl in bezug auf die Sinnesorganisation wie auf das Denksystem ist der Mensch Welt. Die Welt baut sich in ihn hinein. Dadurch ist er im Sinneswahrnehmen und im Denken nicht er selbst, sondern er ist da Welt-Inhalt.

In die Denkorganisation streckt nun der Mensch das Geistig-Seelische seines Wesens hinein, das weder der Erden- noch der Sternen-Welt angehört, das ganz geistiger Art ist und von Erdenleben zu Erdenleben in dem Menschen west. Dieses Geistig-Seelische ist nur der Inspiration zugänglich.

So tritt der Mensch aus seiner irdisch-kosmischen Organisation heraus, um durch seine Inspiration als rein geistig-seelisches Wesen vor sich zu stehen.

In dieser rein geistig-seelischen Wesenheit trifft der Mensch auf das Walten seines Schicksals auf.

Mit der Sinnes-Organisation lebt der Mensch in seinem physischen Leib, mit der Denk-Organisation in seinem ätherischen Leib. Nach Abstreifung beider Organisationen durch das erlebende Erkennen ist er in seinem astralischen Leib.

Jedesmal, wenn der Mensch von seinem angenommenen Wesen etwas abstreift, wird zwar auf der einen Seite sein Seelen-Inhalt ärmer; aber er wird auf der andern Seite zugleich reicher. Hat der Mensch nach der Abstreifung des physischen Leibes die Schönheit der sinnenfälligen Pflanzenwelt nur noch abgeblasst vor sich, so tritt dafür vor seine Seele die ganze Welt der Elementarwesen, die in dem Pflanzenreiche leben.

Weil es so ist, herrscht aber bei dem wirklich geistig Erkennenden nicht eine asketische Stimmung gegenüber dem, was die Sinne wahrnehmen. Im geistigen Erleben bleibt ihm voll-lebendig das Bedürfnis, das Geistig-Erlebte auch wieder durch die Sinne wahrzunehmen. Und wie bei dem Vollmenschen, der nach Erleben der ganzen Wirklichkeit strebt, die Sinneswahrnehmung die Sehnsucht nach dem Gegenpol, nach der Welt der Elementarwesen weckt, so weckt das Anschauen der Elementarwesen wieder die Sehnsucht nach dem Inhalt der Sinneswahrnehmung.

Im Gesamt-Menschenleben verlangt der Geist nach dem Sinne, und der Sinn nach dem Geiste. ‒ Im geistigen Dasein wäre Leerheit, wenn nicht als Erinnerung die Erlebnisse des Sinnen-Erlebens darinnen wären; im Sinnes-Erleben wäre Finsternis, wenn nicht leuchtend, obwohl zunächst unterbewusst, die Kraft des Geistigen hereinwirkte.

Es wird daher, wenn sich der Mensch reif gemacht haben wird, die Betätigung des Michael mitzuerleben, nicht etwa ein Verarmen der Seelen an Natur-Erlebnissen eintreten, sondern im Gegenteil eine Bereicherung. Und auch das Gefühlsleben wird nicht dazu neigen, sich von dem Sinnes-Erleben abzuziehen, sondern es wird freudige Neigung da sein, um die Wunder der Sinnen-Welt voll in die Seele aufzunehmen.

 

Weitere Leitsätze.

171. Die menschliche Sinnesorganisation gehört nicht der Menschen-Wesenheit an, sondern ist von der Umwelt während des Erdenlebens in diese hineingebaut. Das wahrnehmende Auge ist räumlich im Menschen, wesenhaft ist es in der Welt. Und der Mensch streckt sein geistig-seelisches Wesen in dasjenige hinein, was die Welt durch seine Sinne in ihm erlebt. Der Mensch nimmt die physische Umgebung während seines Erdenlebens nicht in sich auf, sondern er wächst mit seinem geistig-seelischen Wesen in diese Umgebung hinein.

172. Aehnlich ist es mit der Denk-Organisation. Der Mensch wächst durch sie in das Sternendasein hinein. Er erkennt sich selbst als Sternenwelt. In den Weltgedanken webt und lebt der Mensch, wenn er im erlebenden Erkennen die Sinnes-Organisation abgestreift hat.

173. Nach Abstreifung von beidem, der Erdenwelt und der Sternenwelt, steht der Mensch als geistig-seelisches Wesen vor sich. Da ist er dann nicht mehr Welt, da ist er im wahren Sinne Mensch. Und gewahr werden, was er da erlebt, heisst Sich-Erkennen, wie Gewahr-Werden in der Sinnes- und Denkorganisation Welt-Erkennen heisst.

 

 

 

LXII

Gedächtnis und Gewissen.

In dem schlafenden Zustande ist der Mensch an den Kosmos hingegeben. Er trägt dem Kosmos entgegen, was er beim Heruntersteigen aus der geistig-seelischen Welt in die irdische als Ergebnis voriger Erdenleben hat. Er entzieht diesen Inhalt seines Menschenwesens dem Kosmos während des Wachens.

In diesem Rhythmus: Hingabean den Kosmos und Sich-dem-Kosmos-Entziehen verläuft das Leben zwischen Geburt und Tod.

Das Entziehen gegenüber dem Kosmos ist zugleich ein Aufnehmen des geistig-seelischen Menschen durch die Sinnes-Nervenorganisation. Was in dieser als physische und Lebensvorgänge sich abspielt, mit dem vereinigt sich im Wachen das Geistig-Seelische des Menschen zu einer einheitlichen Wirkungsweise. In dieser Wirkungsweise ist Sinneswahrnehmung, Formung der Erinnerungsbilder, Phantasie-Leben enthalten. Diese Betätigungen sind an den physischen Leib gebunden. Die Vorstellungen, das Denk-Erleben, in denen dem Menschen bewusst wird, was halbbewusst in Wahrnehmung, Phantasie, Erinnerung sich abspielt, sind an die Denkorganisation gebunden.

In dieser eigentlichen Denk-Organisation liegt auch das Gebiet, durch das der Mensch sein Selbstbewusstsein erlebt. Die Denk-Organisation ist eine Sternen-Organisation. Lebte sie sich einzig als solche aus, dann trüge der Mensch in sich nicht ein Selbstbewusstsein, sondern ein Götterbewusstsein. Aber die Denkorganisation ist Sternen-Organisation, herausgehoben aus dem Sternen-Kosmos und versetzt in das irdische Geschehen. Indem der Mensch die Sternenwelt im Irdischen erlebt, wird er ein selbstbewusstes Wesen.

Da hat man also das Gebiet des inneren Menschen-Lebens vor sich, in dem die göttlich-geistige Welt, die mit dem Menschen verbunden ist, ihn entlässt, damit er in vollem Sinne Mensch werden kann.

Aber gleich unterhalb der Denk-Organisation, da wo Sinneswahrnehmung, Phantasie, Erinnerungsbildung sich vollziehen, lebt die göttlich-geistige Welt im Menschenleben mit. Man kann sagen, in der Gedächtnis-Entfaltung lebt das Göttlich-Geistige in dem wachenden Zustande des Menschen. Denn die beiden anderen Betätigungen, Sinneswahrnehmung und Phantasie, sind nur Modifikationen der Formung der Erinnerungsbilder. In der Sinneswahrnehmung ist die Bildung des Erinnerungsinhaltes in seiner Entstehung; in dem Inhalte der Phantasie leuchtet in der Seele auf, was sich von diesem Inhalte im Seelen-Dasein erhält.

Der Schlafzustand trägt das Geistig-Seelische des Menschen in das Kosmische hinüber. Er ist da mit der Betätigung seines Astralleibes und seines Ich in den göttlich-geistigen Kosmos eingetaucht. Er ist nicht nur ausserhalb der physischen, sondern auch ausserhalb der Sternenwelt. Aber er ist innerhalb der göttlich-geistigen Wesen, durch die sein Dasein den Ursprung hat.

In dem gegenwärtigen Zeitpunkt der kosmischen Entwicklung wirken diese göttlich-geistigen Wesen so, dass sie den moralischen Welt-Inhalt während des Schlafzustandes in Astralleib und Ich einprägen. Alles Weltgeschehen im schlafenden Menschen ist reales moralisches Geschehen, kein Geschehen, das der Naturwirkung auch nur ähnlich genannt werden könnte.

Dieses Geschehen in seiner Nachwirkung trägt der Mensch aus dem schlafenden in den Wachzustand herüber. Diese Nachwirkung bleibt im schlafenden Zustande. Denn der Mensch wacht nur in dem Leben, das dem Denkgebiete zugeneigt ist. Was in seiner Willenssphäre eigentlich vorgeht, das ist auch während des Wachens in solche Dumpfheit gehüllt wie während des Schlafens das ganze Seelenleben. Aber in diesem schlafenden Willensleben webt das Göttlich-Geistige im wachenden Zustande weiter. Der Mensch ist moralisch so gut oder so schlecht, als er es sein kann, je nach der Nähe, in die er schlafend zu den göttlich-geistigen Wesen kommen kann. Und er kommt näher, oder bleibt ferner, je nachdem seine früheren Erdenleben in moralischer Richtung waren.

Aus den Tiefen des wachenden Seelenwesens tönt herauf, was sich während des Schlafens in Gemeinschaft mit der göttlich-geistigen Welt in dieses Seelenwesen hat einpflanzen können. Was herauf klingt, ist die Stimme des Gewissens.

So zeigt sich, wie dasjenige, was eine materialistische Weltansicht am meisten geneigt ist, bloss nach der Naturseite hin zu erklären, für die Geist-Erkenntnis auf der moralischen Seite gelegen ist.

Im Gedächtnis wirkt im wachenden Menschen unmittelbar das göttlich-geistige Wesen; im Gewissen wirkt im wachenden Menschen mittelbar ‒ als Nachwirkung ‒ dieses göttlich-geistige Wesen.

Gedächtnisbildung spielt sich in der Nerven-Sinnesorganisation ab; Gewissensbildung spielt sich als rein seelisch-geistiger Vorgang ab, aber in der Stoffwechsel-Gliedmassenorganisation.

Zwischen beiden liegt die rhythmische Organisation. Diese ist nach zwei Seiten hin polarisch in ihrer Wirksamkeit ausgebildet. Sie ist als Atmungsrhythmus in inniger Beziehung zur Sinneswahrnehmung und zum Denken. In dem Lungen-Atmen ist der Vorgang am gröbsten; er verfeinert sich und wird als verfeinertes Atmen sinnliches Wahrnehmen und Denken. Was noch dem Atmen ganz nahe steht, aber ein Atmen durch die Sinnes-Organe, nicht durch die Lungen ist, das ist das sinnliche Wahrnehmen. Was dem Lungen-Atmen schon ferner ist und durch die Denkorganisation gestützt wird, das ist Vorstellen, Denken; und was schon nach dem Rhythmus der Blutzirkulation hinübergrenzt, schon ein innerliches Atmen ist, das mit der Gliedmassen-Stoffwechselorganisation sich verbindet, das offenbart sich in der Phantasie-Tätigkeit.

Diese reicht dann seelisch in die Willenssphäre, wie der Zirkulationsrhythmus in die Stoffwechsel-Gliedmassenorganisation reicht.

In der Phantasiebetätigung strebt die Denkorganisation an die Willensorganisation nahe heran. Es ist ein Untertauchen des Menschen in seine wachende Schlafsphäre des Willens. Es erscheinen daher bei Menschen, die in dieser Art organisiert sind, die Seelen-Inhalte wie Träume im Wachzustande. In Goethe lebte eine solche Menschen-Organisation. Daher spricht er davon, dass ihm Schiller seine dichterischen Träume deuten müsse.

In Schiller selbst war die andere Organisation wirksam. Er lebte aus dem heraus, was er sich aus den vorigen Erdenleben mitbrachte. Er musste zu einem starken Wollen den Phantasie-Inhalt suchen.

Auf Menschen, die nach der Phantasiesphäre hin veranlagt sind, sodass sich ihnen wie von selbst die Anschauung der sinnlichen Wirklichkeit in Phantasiebilder wandelt, zählt bei ihren Weltenabsichten die ahrimanische Macht. Sie meint, mit Hilfe solcher Menschen die Entwicklung der Menschheit von der Vergangenheit ganz abschneiden zu können, um sie in eine Richtung zu bringen, die sie will.

Auf Menschen, die nach der Willenssphäre hin organisiert sind, die aber die sinnliche Anschauung in Phantasiebilder aus innerer Liebe zur idealen Weltanschauung kräftig gestalten, zählt die luziferische Macht. Sie möchte die Menschheitsentwicklung durch solche Menschen ganz in den Impulsen der Vergangenheit erhalten. Sie könnte dann die Menschheit vor dem Untertauchen in die Sphäre bewahren, in der die ahrimanische Macht überwunden werden muss.

Man steht im Erdendasein in zwei polarischen Gegensätzen. Oben breiten sich die Sterne. Von da strahlen die Kräfte, die mit allem errechenbaren Regelmässigen im Erdendasein zusammenhängen. Regelmässiger Tag- und Nachtwechsel, Jahreszeiten, längere Weltperioden, sie sind die irdische Spiegelung dessen, was Sternen-Geschehen ist.

Der andere Pol strahlt vom Innern der Erde her. Unregelmässiges lebt in ihm. Wind und Wetter, Donner und Blitz, Erdbeben, Vulkanausbrüche spiegeln dieses innere Erden-Geschehen.

Der Mensch ist ein Abbild dieses Sternen-Erdeseins. In seiner Denkorganisation lebt die Sternen-Ordnung, in seiner Gliedmassen-Willens-Organisation lebt das Erden-Chaos. In der rhythmischen Organisation wird in freiem Ausgleich das irdische Menschenwesen erlebt.

 

Leitsätze mit Rücksicht auf die obige Betrachtung.

174. Der Mensch ist von zwei Seiten her geistig-leiblich organisiert. Erstens aus dem physisch-ätherischen Kosmos. Was in diese Organisation von göttlich-geistiger Wesenheit in die Menschenwesenheit hineinstrahlt, das lebt in dieser als Kraft der Sinneswahrnehmung, der Gedächtnisfähigkeit und der Phantasiebetätigung.

175. Zweitens ist der Mensch organisiert aus seinen vorangegangenen Erdenleben heraus. Diese Organisation ist ganz geistig-seelisch und lebt im Menschen durch Astralleib und Ich. Was sich an göttlich-geistigen Wesenheiten in diese Menschenwesenheit hineinlebt, dessen Wirkung leuchtet als Gewissensstimme und alles, was damit verwandt ist, im Menschen auf.

176. In seiner rhythmischen Organisation hat der Mensch die fortdauernde Verbindung der beiden Seiten göttlich-geistiger Impulse. Im Erleben des Rhythmus wird die Gedächtniskraft in das Willenssein und die Gewissensmacht in das Ideensein getragen.

 

 

LXIII

Das scheinbare Erlöschen der Geist-Erkenntnis

in der Neuzeit.

Wer die Anthroposophie in ihrem Verhältnis zur Entwicklung der Bewusstseinsseele richtig beurteilen will, der muss immer von neuem den Blick auf diejenige Geistesverfassung der Kulturmenschheit lenken, die mit dem Aufblühen der Naturwissenschaften beginnt und die im neunzehnten Jahrhundert ihren Höhepunkt erreicht.

Man stelle sich doch den Charakter dieses Zeitalters vor das Seelenauge hin und vergleiche ihn mit dem früherer Zeitalter. In aller Zeit der bewussten Menschheitsentwicklung war die Erkenntnis als das angesehen, was den Menschen mit der Geistwelt zusammenbringt. Was man im Verhältnis zum Geiste war, das schrieb man der Erkenntnis zu. In Kunst, in Religion lebte die Erkenntnis.

Das wurde anders, als die Morgendämmerung des Bewusstseinszeitalters begann. Da fing die Erkenntnis an, sich um einen grossen Teil des menschlichen Seelenlebens nicht mehr zu kümmern. Sie wollte erforschen, was der Mensch als Verhältnis zum Dasein entwickelt, wenn er seine Sinne und seinen beurteilenden Verstand nach der »Natur« richtet. Aber sie wollte sich nicht mehr mit dem beschäftigen, was der Mensch als Verhältnis zur Geist-Welt entwickelt, wenn er sein inneres Wahrnehmungsvermögen so gebraucht wie die Sinne.

So entstand die Notwendigkeit, das geistige Leben des Menschen nicht an das Erkennen der Gegenwart anzuschliessen, sondern an Erkenntnisse der Vergangenheit, an Traditionen.

Entzwei gespalten wurde das menschliche Seelenleben. Vor dem Menschen stand die Natur-Erkenntnis, immer weiter strebend auf der einen Seite, in lebendiger Gegenwart sich entfaltend. Auf der andern Seite war das Erleben eines Verhältnisses zur geistigen Welt, für das die entsprechende Erkenntnis in älteren Zeiten erflossen war. Für dieses Erleben verlor sich allmählich alles Verständnis, wie die entsprechende Erkenntnis in der Vorzeit zustande gekommen ist. Man hatte die Ueberlieferung, aber nicht mehr den Weg, auf dem die überlieferten Wahrheiten erkannt worden sind. Man konnte nur an die Ueberlieferung glauben.

Der Mensch, der sich in voller Besonnenheit etwa um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts die geistige Situation überlegte, hätte sich sagen müssen: Die Menschheit ist dazu gekommen, sich nur noch für fähig zu halten, eine Erkenntnis zu entfalten, die mit dem Geiste nichts zu tun hat. Was über den Geist gewusst werden kann, hat eine frühere Menschheit erforschen können; die Fähigkeit zu dieser Erforschung ist aber der menschlichen Seele verlorengegangen.

In der ganzen Tragweite stellte man sich nicht vor das Seelenauge, was da eigentlich vorlag. ‒ Man beschränkte sich darauf, zu sagen: Erkenntnis reicht eben nicht bis zur geistigen Welt; diese kann nur Gegenstand des Glaubens sein.

Man blicke, um etwas Licht für diese Tatsache zu bekommen, in die Zeiten, in denen die griechische Weisheit vor dem christlich gewordenen Römertum zurückweichen musste. Als die letzten griechischen Philosophenschulen durch den Kaiser Justinian geschlossen wurden, wanderten auch die letzten Bewahrer alten Wissens aus dem Gebiete fort, auf dem nun das europäische Geisteswesen sich entwickelte. Sie fanden Anschluss bei der Akademie von Gondischapur in Asien. Sie war eine der Stätten, wo im Osten durch die Taten Alexanders die Ueberlieferung von dem alten Wissen sich erhalten hatte. In der Form, die Aristoteles diesem alten Wissen hat geben können, lebte es da.

Aber es wurde ergriffen von derjenigen orientalischen Strömung, die man als Arabismus bezeichnen kann. Der Arabismus ist nach der einen Seite seines Wesens eine verfrühte Entfaltung der Bewusstseinsseele. Er bot durch das in der Richtung der Bewusstseinsseele zu früh wirkende Seelenleben die Möglichkeit, dass sich in ihm von Asien aus über Afrika, Südeuropa, Westeuropa eine geistige Welle ergoss, die gewisse europäische Menschen mit einem Intellektualismus erfüllte, der erst später kommen durfte; Süd- und Westeuropa bekamen im siebenten, achten Jahrhundert geistige Impulse, die erst im Zeitalter der Bewusstseinsseele hätten kommen dürfen.

Diese geistige Welle konnte das Intellektuelle im Menschen wecken, nicht aber das tiefere Erleben, durch das die Seele in die Geist-Welt taucht.

Wenn nun der Mensch im fünfzehnten bis zum neunzehnten Jahrhundert sein Erkenntnisvermögen in Tätigkeit brachte, so konnte er nur bis zu einer Seelentiefe untertauchen, in der er noch nicht auf die geistige Welt stiess.

Der in das europäische Geistesleben einziehende Arabismus hielt die erkennenden Seelen von der Geist-Welt zurück. Er brachte ‒ verfrüht ‒ den Intellekt zur Wirksamkeit, der nur die äussere Natur fassen konnte.

Und dieser Arabismus erwies sich als sehr mächtig. Wer von ihm erfasst wurde, in dem begann ein innerer ‒ zum grossen Teile ganz unbewusster ‒ Hochmut die Seele zu ergreifen. Er empfand die Macht des Intellektualismus; aber er empfand nicht das Unvermögen des blossen Intellektes, in die Wirklichkeit einzudringen. So überliess er sich denn der äusseren sinnenfälligen Wirklichkeit, die sich durch sich selbst vor den Menschen hinstellte; aber er kam gar nicht darauf, an die geistige Wirklichkeit heranzutreten.

Dieser Lage sah sich das mittelalterliche Geistesleben gegenüber. Es hatte die gewaltigen Ueberlieferungen von der Geist-Welt; aber sein Seelenleben war durch den ‒ man möchte sagen: im geheimen ‒ wirkenden Arabismus intellektualisch so imprägniert, dass sich der Erkenntnis kein Zugang bot zu den Quellen, aus denen der Inhalt dieser Ueberlieferung doch zuletzt stammte.

Es kämpfte nun vom frühen Mittelalter an das, was instinktiv in den Menschen als geistiger Zusammenhang gefühlt wurde, mit der Gestalt, die das Denken durch den Arabismus angenommen hatte.

Man fühlte die Ideenwelt in sich. Man erlebte sie als etwas Reales. Aber man fand in der Seele nicht die Kraft, in den Ideen den Geist zu erleben. So entstand der Realismus, der die Realität in den Ideen empfand, aber diese Realität nicht finden konnte. Der Realismus hörte in der Ideenwelt das Sprechen des Weltenwortes, er war aber nicht fähig, die Sprache zu verstehen.

Der Nominalismus, der sich ihm entgegenstellte, leugnete, weil das Sprechen nicht verstanden werden konnte, dass es überhaupt vorhanden sei. Für ihn war die Ideenwelt nur eine Summe von Formeln in der menschlichen Seele ohne eine Wurzelung in einer geistigen Realität.

Was in diesen Strömungen wogte, es lebte fort bis in das neunzehnte Jahrhundert. Der Nominalismus wurde die Denkungsart der Natur-Erkenntnis. Sie baute ein grossartiges System von Anschauungen der sinnenfälligen Welt auf, aber sie vernichtete die Einsicht in das Wesen der Ideenwelt. ‒ Der Realismus lebte ein totes Dasein. Er wusste von der Realität der Ideenwelt; aber er konnte im lebendigen Erkennen nicht zu ihr gelangen.

Man wird zu ihr gelangen, wenn Anthroposophie den Weg finden wird von den Ideen zu dem Geist-Erleben in den Ideen. In dem wahrhaft fortgebildeten Realismus muss dem naturwissenschaftlichen Nominalismus ein Erkenntnisweg zur Seite treten, der zeigt, dass die Erkenntnis des Geistigen in der Menschheit nicht erloschen ist, sondern in einem neuen Aufstieg aus neu eröffneten menschlichen Seelenquellen in die menschliche Entwicklung wieder eintreten kann.

Goetheanum, März 1925.

 

Weitere Leitsätze mitBezug auf die vorangehende Betrachtung.

177. Wer den Seelenblick auf die Entwicklung der Menschheit im naturwissenschaftlichen Zeitalter wirft, dem bietet sich zunächst eine traurige Perspektive. Glänzend wird die Erkenntnis des Menschen in bezug auf alles, was Aussenwelt ist. Dagegen tritt eine Art Bewusstsein ein, als ob eine Erkenntnis der Geist-Welt überhaupt nicht mehr möglich sei.

178. Es scheint, als ob eine solche Erkenntnis die Menschen nur in alten Zeiten gehabt hätten, und als ob man mit Bezug auf die geistige Welt sich eben damit begnügen müsse, die alten Traditionen aufzunehmen und zu einem Gegenstande des Glaubens zu machen.

179. Aus der Unsicherheit, die aus diesem gegenüber dem Verhältnis des Menschen zur geistigen Welt im Mittelalter hervorgeht, entsteht der Unglaube an den Geist-Inhalt der Ideen im Nominalismus, dessen Fortsetzung die moderne Naturanschauung ist, und als Wissen von der Realität der Ideen ein Realismus, der aber erst durch die Anthroposophie seine Erfüllung finden kann.

   

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